Asylrechtsprechung

VG Karlsruhe: Amtsärztliches Gutachten genügt nicht zum Ausschluss abschiebungsbedingter Suizidgefahr

Bestehen aufgrund konkreter Anhaltspunkte Zweifel an der Reisefähigkeit der abzuschiebenden Person – etwa aufgrund vorgelegter aussagekräftiger privatärztlicher Gutachten – ist das Regierungspräsidium als für den Abschiebungsvollzug zuständige Behörde von Amts wegen zur weiteren Sachverhaltsaufklärung verpflichtet. Geht es – wie im entschiedenen Fall – um ein abschiebungsbedingtes Suizidrisiko, kann dieses mittels einer bloßen (amts-)ärztlichen Begutachtung durch einen Allgemeinmediziner nicht verlässlich ausgeschlossen werden. Vielmehr muss ein psychologisch-psychotherapeutisches Gutachten eingeholt werden. Weil das Regierungspräsidium Karlsruhe dies unterlassen hatte, gab das VG Karlsruhe dem Eilantrag nach § 123 VwGO mit Beschluss vom 29.05.2015 statt (Az.: 7 K 2513/15).

VGH Baden-Württemberg: Subsidiär Schutzberechtigte können in Deutschland (erneut) Asylantrag stellen

Ein in Deutschland gestellter Asylantrag ist nicht allein deshalb aussichtslos, weil dem Antragsteller bereits in einem anderen EU-Land subsidiärer Schutz bewilligt wurde. Nur bei anerkannten Flüchtlingen scheidet eine erfolgreiche (nochmalige) Asylantragstellung in Deutschland aus. Das hat der VGH Baden-Württemberg mit Urteil vom 29. April 2015 entschieden (Az.: A 11 S 57/15).

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VG Sigmaringen: Keine Abschiebung einer Roma-Frau nach Serbien wegen drohender Retraumatisierung

In einem Eilverfahren hat das VG Sigmaringen mit Beschluss vom 11. Mai 2015 die Abschiebung einer aus Serbien stammenden Roma gestoppt (Az.: A 4 K 5270/14). Die Antragstellerin litt unter anderem an einer durch fachärztliche Gutachten belegten chronischen posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) sowie akuten Depressionen, die eine engmaschige (psychotherapeutische) Behandlung erforderten. Da in Serbien psychische Erkrankungen überwiegend medikamentös behandelt werden, sei die Frage, ob ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot (§ 60 Abs. 7 AufenthG) bestehe, zum Schutz der Gesundheit der Antragstellerin gründlich in einer mündlichen Verhandlung zu prüfen. Zu Gunsten  der Angehörigen der Antragstellerin verwies das Gericht auf ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, das eine Familientrennung verbiete.

Bundesverfassungsgericht: Abschiebung besonders schutzbedürftiger Personen nach Italien setzt konkrete Zusicherung bei Erlass der Abschiebungsanordnung voraus

Seit der „Tarakhel-Entscheidung“ des EGMR ist das BAMF verpflichtet, vor einer Überstellung insbesondere von Familien mit Klein(st-)Kindern nach Italien Garantien von den italienischen Behörden für eine menschenrechtskonforme und familiengerechte Unterbringung einzuholen. In zwei aktuellen Entscheidungen hat sich das BVerfG zu den Anforderungen an diese Garantien geäußert.

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Bundessozialgericht: Kindergeldanspruch von UMF setzt keine Erwerbstätigkeit voraus

Unbegleitete bzw. elternlose minderjährige Ausländer/innen mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG müssen nicht erwerbstätig sein, um für sich selbst Kindergeld beanspruchen zu können. Das teilt das Bundessozialgericht (BSG) in einer Medieninformation (Az. des Verfahrens: B 10 KG 1/14 R) vom 5. Mai 2015 mit. Begründung: Bezogen auf die oben genannte Personengruppe verlangt § 1 Abs. 3 Nr. 3 b) Bundeskindergeldgesetz (BKKG) etwas rechtlich bzw. tatsächlich Unmögliches. Für Kinder gilt ein generelles Arbeitsverbot; Jugendliche sind regelmäßig aufgrund ihres Schulbesuchs an der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gehindert. Verfassungsgemäß ausgelegt setzt § 1 Abs. 3 BKKG deshalb in diesen Fällen „nur“ eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG sowie einen dreijährigen rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Voraufenthalt im Bundesgebiet voraus.

Die Erwägungen dürften auch für unbegleitete/elternlose Minderjährige mit Aufenthaltserlaubnissen nach §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 und 4 AufenthG gelten.

OVG Berlin-Brandenburg: Antragsfrist für privilegierten Familiennachzug beginnt (erst) mit Bekanntgabe des Anerkennungsbescheids durch das BAMF

Mit Urteil vom 27.02.2015 (Az. 7 B 29.14) hat das OVG Berlin-Brandenburg entschieden, dass die Drei-Monatsfrist für den Antrag auf Familiennachzug (§ 29 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) (erst) mit Bekanntgabe des BAMF-Bescheids, mit dem der Asylsuchende als Asylberechtigter/Flüchtling anerkannt wird, zu laufen beginnt. Auf die Rechtskraft des Urteils, mit dem das BAMF verpflichtet wird, den Asylsuchenden als Asylberechtigten/Flüchtling anzuerkennen, soll es dagegen nicht ankommen.

Bei fristgerechtem Visumsantrag entfallen die Voraussetzungen der Lebensunterhaltssicherung und ausreichenden Wohnraums zwingend. Bedeutung hat die Entscheidung in erster Linie dort, wo die Flüchtlingseigenschaft erst vor Gericht erstritten wurde. Wo das BAMF den Asylsuchenden bereits „von sich aus“ als Flüchtling/Asylberechtigten anerkannt hat, beginnt die Frist dagegen stets mit Zustellung des Anerkennungsbescheids.

Bundesverfassungsgericht: Zur Strafbarkeit illegaler Einreise und begleitender Urkundenfälschung

Über sichere Drittstaaten nach Deutschland eingereisten Asylbewerbern droht stets die zumindest latente Gefahr einer Strafverfolgung wegen illegaler Einreise nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG. Besonderer Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang § 95 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 31 GfK zu. Mit der Reichweite dieses persönlichen Strafaufhebungsgrundes hat sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 08.12.2014 (Az.: 2 BvR 450/11) beschäftigt.

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VG Münster: Erklärung Serbiens zu „sicherem Herkunftsstaat“ möglicherweise verfassungswidrig

Anlass des Verfahrens war ein Asylantrag eines Angehörigen der Volksgruppe der Roma. Diesen hatte das BAMF unter Hinweis auf das Gesetz vom 31.10.2014, mit dem u.a. Serbien zum sicheren Herkunftsstaat bestimmt wurde, als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Dem gegen die Abschiebungsandrohung gerichteten Eilantrag gab das VG Münster mit Beschluss vom 27.11.2014 statt (Az.: 4 L 867/14.A). Es sei offen, ob das Gesetz verfassungsrechtlichen Vorgaben genüge. In der Sache zweifelte das Gericht an, ob der Gesetzgeber seine Entscheidung auf einer ausreichenden Tatsachen- und Informationsgrundlage getroffen habe. Für klärungsbedürftig hielt das Gericht insbesondere, ob der Gesetzgeber die Ausreise- und Grenzkontrollbestimmungen Serbiens sowie die Entscheidungspraxis der Verwaltungsgerichte (ausreichend) berücksichtigt hat.

Sollten die Zweifel im Hauptsacheverfahren nicht ausgeräumt werden können, müsste das Gesetz dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden.

VG Stuttgart: Anspruch auf Prüfung des Asylantrags durch den zuständigen „Dublin-Staat“

Mit Urteil vom 28.01.2015 (Az.: A 1 K 500/14) hat das VG Stuttgart entschieden, dass ein Asylantragsteller grundsätzlich einen Anspruch gegen die Bundesrepublik auf eine Sachentscheidung hat, wenn diese wegen Ablaufs der Überstellungsfrist zuständiger „Dublin-Staat“ geworden ist. Die Begründung lautete dabei im Kern: Hätte der Zuständigkeitsübergang nur im Verhältnis der Staaten zueinander Bedeutung, befände sich der Asylantragsteller in einem Schwebezustand. Gegenüber dem inzwischen unzuständigen Staat bestünde kein Anspruch auf Prüfung seines Asylantrags (mehr) und gegenüber dem an sich zuständigen Staat könne er seinen Asyl(prüfungs-)anspruch nicht durchsetzen. Um dies zu verhindern, müsse der Zuständigkeitswechsel in einem Rechtsschutzverfahren erfolgreich eingewandt werden können. Im Gegensatz zu anderen Gerichten sieht das VG Stuttgart die „Dublin-Fristen“ damit grundsätzlich als drittschützend an.

VGH Mannheim kündigt „Dublin-Entscheidung“ zu Ungarn an

Wie ist mit Asylbewerbern umzugehen, die bereits in einem anderen EU-Land (teilweise) erfolgreich einen Asylantrag gestellt haben? Dieses Phänomen, das in der Flüchtlingsarbeit bereits seit einiger Zeit „täglich Brot“ ist, muss der VGH in dem 2015 anstehenden Verfahren rechtlich bewerten.

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