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Weltflüchtlingstag am 20. Juni

Gedenktag mit schlechtem Beigeschmack

Pressemitteilung

Der von der UN-Vollversammlung ins Leben gerufene Weltflüchtlingstag am 20. Juni ist den Flüchtlingen, Asylsuchenden, Binnenvertriebenen, Staatenlosen und RückkehrerInnen auf der ganzen Welt (ca. 42,5 Millionen Menschen) gewidmet, um ihre Hoffnungen und Sehnsüchte nach einem besseren Leben zu würdigen. Im Juli 2009 hat außerdem die Konferenz Europäischer Kirchen in Lyon den 20. Juni zum „Gedenktag für die an den europäischen Außengrenzen ums Leben gekommenen Flüchtlinge“ ausgerufen. 

„Beide Gedenktage an ein und demselben Tag zu begehen macht Sinn, denn es handelt sich um zwei Seiten derselben Medaille“, sagte Helga Groz, Vorstandsmitglied des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg. Einerseits das hehre Gedenken im Geiste der Völkersolidarität andererseits das tägliche Sterben an den Außengrenzen der EU als trauriges Zeugnis einer verweigerten Solidarität, die zunehmend in militärische Abwehr umschlägt.

Wie viele Tote es in den letzten 10 Jahren tatsächlich gegeben hat, vermag niemand zu sagen. Vage Schätzungen liegen bei 25 000. Es können aber auch doppelt so viele sein, da von einer großen Dunkelziffer auszugehen ist. Als im vergangenen Herbst fast 400 Flüchtlinge vor der Insel Lampedusa wegen unterlassener Hilfeleistung ums Leben gekommen waren, schien ein Ruck durch die Europäische Union zu gehen. Zumindest ein paar Tage lang überboten sich Politik und Medien gegenseitig in Bekundungen des Bedauerns und der Forderung nach einem Kurswechsel. Die Schuldigen waren auch schnell ausgemacht: die bösen Schlepper, denen man das Handwerk legen sollte.

Italien startete daraufhin den Seenotrettungseinsatz „Mare Nostrum“ im Mittelmeer. Von Jahresbeginn bis Mitte Mai sollen so 30 000 Migranten gerettet worden sein. Wer allerdings annimmt, dass diese Menschen automatisch eine faire Chance auf ein Asylverfahren in einem europäischen Land erhalten hätten, täuscht sich. Denn kreuzen die Retter vor der libyschen Küste, sorgen libysche Offiziere an Bord für die unbürokratische Entladung der „Fracht“ in einem libyschen Hafen. Ansonsten wird bereits an Bord der Schiffe eine Sortierung vorgenommen. Ägypter und Tunesier werden sofort abgeschoben, Nigerianer werden nach kurzer Zeit in Italien auf die Straße gesetzt mit der Aufforderung, das Land innerhalb von 7 Tagen zu verlassen. Das jedem Menschen zustehende Recht auf einen Asylantrag bleibt dabei auf der Strecke. Da dem italienischen Staat inzwischen auch die Mittel für die Rettungsaktionen und die Folgekosten für Unterbringung bzw. Abschiebung ausgehen, fordern Politiker der italienischen Rechten bereits die Einstellung der Operation. Die Betroffenheit hat dem Pragmatismus Platz gemacht.


Das Europäische Parlament hat am 16.April 2014 eine „Seeaußengrenzenverordnung“ verabschiedet, die es in sich hat: Vorgesehen sind FRONTEX-Einsätze, die letztlich eine Zurückweisung von Asylbewerbern auf hoher See vorsehen, indem ihre Boote gegen den Willen ihrer Passagiere in Drittländer eskortiert werden, wo sie zwar an Land gehen dürfen, aber ansonsten keinerlei Schutz oder Versorgung erhalten. Sollten sich diese Boote nicht „führen“ lassen, kommt es auch schon mal zu höchst gefährlichen Abdrängungsaktionen. Als besonders rigoros gilt hier die griechische Küstenwache, die schon des Öfteren Flüchtlinge auf unbewohnten Inseln ausgesetzt oder Menschen in Seenot sich selbst überlassen hat. »Libyen wird von der EU gedrängt, mit militärischen Mitteln die Grenzen gegen Migranten aus den Nachbarstaaten zu schließen. Auch das geschieht mit Hilfe der EU, die im Moment 70 Polizisten nach Libyen entsandt hat«, erklärte dazu die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke auf dem Ostermarsch in Düsseldorf im April dieses Jahres. Daran sind aktuell auch drei deutsche Polizisten beteiligt, laut Bundespolizei können bis zu 20 Beamte entsandt werden.

Gemeinsame Notstandseinsätze und schnelle Eingreifoperationen (RABIT) plant Frontex in Zusammenarbeit mit der Europäischen Asylbehörde (European Asylum Support Office, EASO) im westlichen Mittelmeer, vor allem gegenüber Tunesien und Marokko, sowie in der Ägäis. Das soll heißen, dass erkannte Asylflüchtlinge mit praktischer Hilfe des EASO in Nordafrika gehalten oder durch gemeinsame See-Operationen nach Nordafrika zurückgebracht werden sollen. So wird bedenkenlos gegen das Völkerrecht verstoßen.

Sucht ein Flüchtling sein Heil auf dem Landweg, scheitert er meistens an den Grenzzäunen, die mit allen Raffinessen der Sicherheitstechnik ausgestattet sind. So z.B. zwischen der Türkei und Griechenland oder rund um die spanischen Enklaven auf marokkanischem Gebiet. Diese Zäune gelten als nahezu unüberwindbar. Dennoch versuchen Flüchtlinge immer wieder, im Massenansturm diese tödlichen Barrieren zu überwinden, und viele holen sich an den stachelbewehrten Zäunen schwerste Verletzungen oder werden von den nachstürmenden Menschen erdrückt.

Auf diejenigen, die dennoch auf dem Landweg z.B. nach Deutschland kommen, wartet dann das „Dublin-Verfahren“, ein juristischer Zurückweisungsmechanismus, der die Flüchtlinge in das Land zurückverweist, in dem sie zuerst europäischen Boden betreten haben. Dort könnten sie dann ihre ggf. ihr Asylverfahren betreiben. Dass dies in den überforderten Grenzländern entweder gar nicht oder nur rudimentär möglich ist, versteht sich von selbst. Die Hauptlast tragen also die wirtschaftlich schwächsten Länder im Süden und Osten Europas.

Helga Groz resümiert: „Sollten wir also Gedenktage streichen, die eh nichts als hohle Phrasen zu bieten haben? Nein, sie sind zumindest ein kleiner Stachel im Fleisch der saturierten Mehrheitsbevölkerung. Vielleicht kommt dem einen oder anderen die Idee, dass dem Afrikaner in seiner Nachbarschaft, der womöglich eine monatelange Wüstendurchquerung und Seenot auf dem Mittelmeer oder ähnliche Todesgefahren auf sich genommen hat, um hier ein bescheidenes Leben fristen zu können, zumindest der normale menschliche Respekt gebührt. Das wäre ein kleiner Lichtblick.“

Helga Groz
Mitglied des Vorstands des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg

Kontakt: Geschäftsstelle des Flüchtlingsrats: 0711 / 55 32 83-4

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