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Vorweihnachtliche Abschiebung aus Schule und Kindergarten

Baden-Württemberg schiebt entgegen Aussagen der Landesregierung aus Bildungseinrichtungen ab

Am Montag, 10. Dezember wurde ein elfjähriger Junge aus der Johannes-Kepler-Gemeinschaftsschule in Mannheim von der Polizei abgeholt und zusammen mit seiner sechsjährigen Schwester, die aus dem Kindergarten geholt wurde, den Eltern und einem weiteren Kind nach Albanien abgeschoben. Der Mannheimer Morgen berichtet, dass der Junge unter Tränen von der Polizei abgeführt wurde und dass zwei Lehrer und eine Sozialarbeiterin zwei bis drei Tage damit beschäftigt waren, die Mitschüler*innen zu beruhigen.

„Abschiebungen aus Schulen und Kindergarten sind in besonderem Maße unmenschlich, weil sie die Funktion dieser Einrichtungen als geschützte Orte für Kinder und Jugendliche durchbrechen und, wie auch in diesem Fall deutlich wurde, ein ganzes Umfeld mittraumatisieren“, erklärt Seán McGinley, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg.

Den in den Medien zitierten Äußerungen der Polizei ist zu entnehmen, dass dies nicht die erste Abschiebung aus einer Schule war. Dies ist aus Sicht des Flüchtlingsrats vor allem deshalb brisant, weil die Landesregierung gerade erst letztes Jahr behauptet hat, Abschiebungen aus Schulen würde es in Baden-Württemberg nicht geben. „Als wir im Sommer 2017 in Zusammenarbeit mit der Bildungsgewerkschaft GEW einen Leitfaden zum Thema ‚Was tun bei (drohender) Abschiebung aus Schulen?‘ herausgaben, wurde uns seitens des damaligen Staatssekretärs im Innenministerium, Martin Jäger, entgegengehalten, in Baden-Württemberg würde nicht aus Schulen abgeschoben, und dies sei auch künftig nicht geplant. Das stimmt offensichtlich nicht oder zumindest nicht mehr“, so McGinley.

Unterdessen hat die Stadt Mannheim am 17. Dezember eine Pressemitteilung  herausgegeben, in der angekündigt wurde, die Stadt würde sich um die Verleihung des Siegels „Kinderfreundliche Kommune“ bewerben und hierzu „einen Aktionsplan erstellen, um junge Menschen in Mannheim besser zu schützen, zu fördern und zu beteiligen“. Der Flüchtlingsrat ist der Meinung, dass ein Verzicht auf Abschiebungen aus Schulen und Kindergärten ein unverzichtbarer Bestandteil eines solchen Plans sein muss.

Dass die Eltern der betroffenen Familie beide in der Pflege arbeiteten, macht aus Sicht des Flüchtlingsrats den ganzen Vorgang vor dem Hintergrund des geplanten „Fachkräfteeinwanderungsgesetzes“ noch unverständlicher. „Wie schon vor wenigen Wochen bei der Abschiebung der mazedonischen Krankenschwester Amela Memedi aus Neckargemünd könnte man fast schon meinen, die Behörden wollten diese Menschen schnellstmöglich loswerden, bevor sie möglicherweise bald eine Perspektive auf einen gesicherten Aufenthalt erhalten“, so McGinley.

In früheren Jahren, zuletzt 2012/13, gab es einen Winterabschiebestopp für die Westbalkanstaaten, wo Abgeschobene häufig auf der Straße landen, wenn sie keine Familienangehörige haben, bei denen sie wohnen können. „Selbst dieses Mindestmaß an Rücksicht ist scheinbar zu viel verlangt. Die Aussicht, im Wettlauf der Hardliner um eine möglichst hohe Anzahl von Abschiebungen möglichst gut abzuschneiden, ist offenbar jedes Mittel Recht – nicht einmal vor Grundschulen und Kindergärten machen die Abschiebefanatiker halt“, so Seán McGinley.


Chronik der Unmenschlichkeit

Der Flüchtlingsrat weist darauf hin, dass es dieses Jahr eine Vielzahl an Abschiebungen von besonders unmenschlichen Abschiebungen in die Länder des Westbalkans gegeben hat. Hierzu gehören:

17. Januar, Wolfschlugen, Landkreis Esslingen: Abschiebung der mazedonischen Familie Bajrami nach 25 Jahren in Deutschland, ohne ihre 16-jährige Tochter.

8. Februar, Freiburg: Eine kosovarische Familie wird durch Abschiebung getrennt: Die Mutter und der volljährige Sohn werden abgeschoben, der Vater und die minderjährige Tochter bleiben in Deutschland.

10. April, Herbrechtingen, Landkreis Heidenheim: Abschiebung der mazedonischen Familie Bislimov ohne ihre schwerbehinderte 18-jährige Tochter, die aus gesundheitlichen Gründen nicht abgeschoben werden durfte und in einem Heim lebt.

13. April, Freiburg: Abschiebung einer 17-jährigen kosovarischen Schülerin vier Tage vor Beginn ihrer Schulabschlussprüfungen. Sie hatte für die Zeit nach dem Schulabschluss bereits ein Ausbildungsplatz gefunden.

16. April, Stuttgart: Abschiebung des 69-jährigen pflegebedürftigen Parkinson-Patienten Slave Stojanovski  nach Mazedonien, der mit Unterbrechungen seit 1969 in Deutschland lebte und eine Rente bezog.

16. April, Freiburg: Im Rahmen der Sammelabschiebung nach Serbien und Mazedonien wird eine alleinerziehende Mutter mit ihrem Kind abgeschoben. Die Frau hatte zuvor 18 Jahre in Deutschland gelebt.

27. September, Freiburg: Abschiebung einer mazedonischen Familie drei Tage bevor die älteste Tochter die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG erfüllt hätte. Die Ausländerbehörde hatte einen zuvor gestellten Antrag abgelehnt.

19. November, Neckargemünd, Rhein-Neckar-Kreis: Abschiebung der mazedonischen Krankenschwester Amela Memedi zusammen mit ihrem ebenfalls berufstätigen Ehemann. Drei Wochen vorher hatte sie bei einer Veranstaltung  der Grünen in Heidelberg zum Thema Bleiberecht für erwerbstätige Geduldete gesprochen.

Seán McGinley sagt hierzu: „Diese Menschen sind Bauernopfer in einem zynischen politischen Spiel, sie sind der Kollateralschaden einer unsachlichen politischen und medialen Hysterie um ein vermeintliches ‚Vollzugsdefizit‘ bei Abschiebungen. Obwohl die Anzahl der Asylanträge von Menschen aus dem Westbalkan erheblich zurückgegangen ist und die meisten nach Ablehnung ihrer Anträge zurückgehen, um einer Abschiebung zuvorzukommen, hält die Landesregierung an diesen Sammelabschiebungen fest, die überwiegend Personen betreffen, die seit mehreren Jahren in Deutschland leben. Hier werden Existenzen und Lebensperspektiven zerstört und unaufhörliches Leid bei den betroffenen Personen und ihrem Umfeld erzeugt. Damit muss endlich Schluss sein! Ein Winterabschiebestopp muss her, die Sammelabschiebungen in den Westbalkan müssen eingestellt werden und es müssen Perspektiven zum Bleiberecht geschaffen und genutzt werden. Der aktuelle Umgang mit Geflüchteten aus dem Westbalkan ist beschämend und lässt jegliche Menschlichkeit vermissen.“

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