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VGH Baden-Württemberg: Nach Ungarn angeordnete Abschiebung rechtswidrig!

Ungarisches Asylsystem litt 2014 unter systemischen Mängeln

In einer aktuellen Entscheidung hat sich der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) mit dem Zustand des ungarischen Asylsystems und weiteren Fragen rund um die sog. Dublin-III- Verordnung befasst. Auf Grundlage der Verordnung hatte das BAMF den Asylantrag eines 1988 geborenen syrischen Schutzsuchenden als unzulässig abgelehnt und seine Abschiebung in das für zuständig gehaltene Ungarn angeordnet. Diese Entscheidung hat der VGH mit Urteil vom 5.7.2016 „kassiert“. Ungarn sei – so der VGH – für die inhaltliche Prüfung des Asylantrags nicht zuständig. Das dortige Asylsystem leide insbesondere aufgrund der willkürlichen Inhaftierungspraxis an systemischen Mängeln, infolgedessen dem Kläger eine grundrechtswidrige unmenschliche und entwürdigende Behandlung gedroht habe. Das Bemerkenswerte an der Begründung: Das Gericht stellte auf die Situation in Ungarn im Zeitpunkt der Einreise des Klägers nach Deutschland, und damit auf den Sommer 2014 ab. Zu diesem Zeitpunkt bestand für ihn als Asylantragsteller systembedingt die Gefahr einer willkürlichen Inhaftnahme, so dass ihm die Durchführung des Asylverfahrens in Ungarn unzumutbar war und die Zuständigkeit deshalb bei Deutschland lag. Dieser „Zuständigkeitswechsel“ sei endgültig! Selbst wenn sich die Situation in Ungarn zwischenzeitlich zum Besseren gewendet haben sollte – was das Gericht stark bezweifelte – bleibe Deutschland zuständig. Eine andere Sichtweise würde zu einem mit dem Beschleunigungsgrundsatz nicht zu vereinbarenden endlosen „Zuständigkeitsgerangel“ führen.

Noch aus einem weiteren Grund ging der VGH von der Zuständigkeit Deutschlands und deshalb der Rechtswidrigkeit der BAMF-Entscheidung aus: Die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat müsse grundsätzlich innerhalb von sechs Monaten erfolgen. Andernfalls gehe die Zuständigkeit auf den überstellenden Staat – hier also Deutschland – über. Stehe aber bereits im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung fest, dass eine Überstellung innerhalb dieser sechs Monate nicht erfolgen werde, dürfe Deutschland den Ablauf der Frist nicht abwarten, sondern müsse zur Beschleunigung des Asylverfahrens die Zuständigkeit durch Ausübung des Selbsteintrittsrechts sogleich an sich ziehen. Angesichts einer Überstellungsquote nach Ungarn von unter 5% im Jahr 2015 bezweifelte das Gericht, „dass in absehbarer Zeit überhaupt noch Überstellungen [nach Ungarn] in nennenswertem Umfang durchgeführt werden können“.

Mit der Entscheidung schlägt das Gericht einen weiteren der so oft zitierten „Sargnägel“ in das Dublin-System und zeigt zugleich das darin angelegte Dilemma auf. Macht die Entscheidung Schule, scheidet mit Ungarn nach Griechenland de facto das zweite Land aus dem Dublin-Regime aus.

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