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Misstände in der Abschiebehaft werden geleugnet

Stellungnahme des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg zur Berichterstattung über die Abschiebehaft Pforzheim

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg reagiert mit Verwunderung auf die Äußerungen des Regierungspräsidiums Karlsruhe bezüglich der Bedingungen in der Abschiebehaft in Pforzheim.
Seán McGinley, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg und Mitglied der AG Abschiebehaft, sagt hierzu:

„Mehrere Aussagen des Regierungspräsidiums, die im Zuge der Berichterstattung zur Pressekonferenz der AG Abschiebehaft am 8. Mai 2019 gemacht worden, sind grob irreführend bis eindeutig wahrheitswidrig.“

Bezüglich der Kritik, dass keine Räume für Beratungsgespräche zur Verfügung stehen, und die Berater*innen und Seelsorger nur in den Besuchszellen mit den Inhaftierten sprechen, sagt das Regierungspräsidium gegenüber dem SWR:

„Einen speziellen Raum gebe es aus Kapazitätsgründen nicht. [...] Zudem sei das auch in anderen Abschiebehaftanstalten in Deutschland so geregelt.“

Auf Nachfrage des Flüchtlingsrats haben Personen, die in anderen Bundesländern in der Beratung in der Abschiebehaft tätig sind, Folgendes berichtet:
• Die ökumenische Beratungsstelle in der Abschiebehafteinrichtung Ingelheim (Rheinland-Pfalz) hat ein eigenes Büro innerhalb der Hafteinrichtung, das zu festen Zeiten besetzt ist.
• In der Abschiebehafteinrichtung Langenhagen (Niedersachsen) bietet der Flüchtlingsrat Niedersachsen zu festen Zeiten Beratung an, die in einem Konferenzraum stattfinden und nicht in den Besuchsräumen.
• In der Abschiebehafteinrichtung Eichstätt (Bayern) ist ein Berater des Jesuiten-Flüchtlingsdiensts einmal wöchentlich zur gleichen Zeit präsent, um in der Freizeithalle, wo Inhaftierte freien Zugang zu Sport- und Freizeitangeboten haben, Beratung anzubieten.
• In der Abschiebehafteinrichtung Erding (Bayern) führt der Jesuiten-Flüchtlingsdienst im Büro des Sozialdienstes Beratungsgespräche durch.

Das Regierungspräsidium möchte die Pforzheimer Verhältnisse als Normalität erscheinen lassen. Wir sagen ganz deutlich: Das was in dieser Einrichtung passiert, ist nicht normal – hier werden Rechte verwehrt, die in anderen Bundesländern – sogar in Bayern – gewährt werden.

Bezüglich der Nichterlaubnis religiöser Feierlichkeiten wird das Regierungspräsidium in der Pforzheimer Zeitung vom 10. Mai zitiert mit den Worten:

„Der Leiter der Abschiebehaft lehne auch keine interreligiösen Angebote ab. Es gebe allerdings kaum Nachfrage danach.“

Wer auch immer diese Aussage getätigt hat, sagt entweder bewusst die Unwahrheit oder ist falsch informiert.
Im Dezember 2016 gab es die erste und letzte interreligiöse Friedenslichtfeier in einem Gemeinschaftsraum, der früher in der JVA als Gottesdienstraum genutzt wurde. Eine Anfrage seitens der Seelsorger, eine ähnliche Feier zu Pfingsten durchzuführen, wurde vom Anstaltsleiter Herrn Paukner abgelehnt - ebenso spätere Anfragen ähnlicher Art.
Wenn das Regierungspräsidium behauptet, es würde kaum Interesse an einer solchen Feier geben, dann liegt dies daran, dass das Angebot den Inhaftierten nicht bekannt ist. Ein entsprechender Infoflyer zu den seelsorgerischen Angeboten wurde trotz Zusage der Anstaltsleitung augenscheinlich nicht an die Inhaftierten verteilt – zumindest hat kein einziger Inhaftierter auf Anfrage der Berater*innen und Seelsorger hin angegeben, den Flyer gesehen zu haben. Wenn einzelne Inhaftierte im direkten Gespräch gefragt werden, ob sie Interesse an einer interreligiösen Feier hätten, ist die Resonanz in aller Regel sehr positiv.

Zudem werden nicht nur interreligiöse Feierlichkeiten, sondern auch solche für Personen der gleichen Religion, nicht erlaubt werden. Wünschen sich beispielsweise – und der Fall ist tatsächlich vorgekommen – mehrere katholische Insassen die Teilnahme an einem Gottesdienst, ist es dem Seelsorger nicht erlaubt, sich mit ihnen in einem Raum zu versammeln. Stattdessen muss er mit jedem einzelnen nacheinander jeweils zu zweit den Gottesdienst zelebrieren. Dies widerspricht dem christlichen Gemeinschaftsgedanken, aber auch Artikel 18 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, wonach jeder Mensch das Recht hat, auch in Gemeinschaft mit anderen den Glauben zu bekennen.

Bezüglich der ebenfalls in der Pforzheimer Zeitung zitierten Behauptung des Regierungspräsidiums:
„Die Untergebrachten werden bei Bedarf umfassend medizinisch versorgt. Dies beinhaltet auch Vorstellungen bei Fachärzten und Krankenhäusern bis hin zu Psychiatrien.“ 

kann auf den bereits bei der Pressekonferenz geschilderten Fall verwiesen werden, in dem ein Seelsorger einen dringend benötigter Augenarzttermin für einen Inhaftierten organisierte, und die Verantwortlichen in der Haftanstalt es dem Inhaftieren nicht ermöglichten, diesen Termin wahrzunehmen. Des Weiteren müssen die Mitglieder der AG Abschiebehaft regelmäßig erfahren, dass es keinerlei psychologische oder psychiatrische Betreuung gibt – was sich aufgrund der extrem belastenden Situation, in der sich die Inhaftierten befinden als absolut verantwortungslos bezeichnet werden muss.

 

„Bitte gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen!“
Scheinbar geht das Regierungspräsidium davon aus, es könne einfach behaupten, die Kritikpunkte würden einfach nicht stimmen. Die Behörden hoffen dass für Außenstehende der Eindruck entsteht, es stünde Aussage gegen Aussage, und dass viele im Zweifelsfalle annehmen, dass die staatliche Stelle grundsätzlich immer Recht hat, oder zumindest denken „Ich kann nicht beurteilen, wer da Recht hat.“
Deshalb ist es uns wichtig, in aller Deutlichkeit zu sagen: Das Regierungspräsidium verbreitet hier Unwahrheiten und leugnet die Missstände in der Abschiebehaft Pforzheim. Soll hier dafür gesorgt werden, dass die Presse und die Öffentlichkeit wegschauen und aufhören, kritische Fragen zu stellen? Damit die Anstaltsleitung – wie schon die ganzen drei Jahre bisher – hinter Mauern und Stacheldraht machen kann was sie will - ohne jegliche externe, unabhängige Kontrolle.

 

Verwunderung des Beirats verwundert nicht
Dass der „Beirat“ der Abschiebehaft mit den Worten zitiert wird, man sei „verwundert, von den Schwierigkeiten aus der Zeitung zu erfahren“, sagt schon alles, was über diesen „Beirat“ zu sagen ist.

 

Massive Repression nach Kundgebung
Am Samstag, 11. Mai fand eine Kundgebung des Antirassistischen Netzwerks vor der Abschiebehaft statt. Bereits am Abend vorher wurden Inhaftierte aus den Zellen mit Blick auf die Straße wegverlegt in andere Teile des Gebäudes. Während der Kundgebung sprach ein Inhaftierter per Telefon zur Kundgebung. Infolgedessen kam es zu einem massiven Polizeieinsatz in der Haftanstalt. Inhaftierte berichten, dass sie aus ihren Zellen herauskommen und sich an der Wand aufstellen musste, und dass ihnen dann Handschellen angelegt wurden. Anschließend seien sie in ihren Zellen eingeschlossen wurden und hätten an diesem Tag nichts mehr zu Essen bekommen. Einige der Betroffenen seien fünf Tage in Einzelhaft gewesen. Sie durften dabei nicht duschen oder ihre Kleidung wechseln. Einem Betroffenen sei es nicht erlaubt gewesen, einen Arzttermin wahrzunehmen. Bei einer ersten Demonstration vor zwei Jahren war uns von ähnlichen Repressalien berichtet worden.
Dass Menschen, die keinerlei Straftat begangen haben, in dieser Weise behandelt werden, ist ein Skandal. Es braucht endlich eine unabhängige Kontrolle über die Vorgänge in der Abschiebehaft. Dass es offenbar keinerlei Möglichkeit gibt, Missstände an eine unabhängige Stelle zu melden, ist nicht hinnehmbar.
Es ist vorhersehbar, dass die zuständigen Stellen wieder einmal mit Beschwichtigungsfloskeln und Behauptungen reagieren werden, um ihr Verhalten zu rechtfertigen und die Missstände zu leugnen. Auch in diesem Fall werden sie blindes Vertrauen einfordern für alles, was in der Abschiebehaft passiert. Spätestens nach den Ereignissen der letzten Tage muss klar sein, dass ihnen dies nicht zusteht. Statt Unrecht zu vertuschen, sollten die Behörden dafür sorgen, dass die Inhaftierten menschlich behandelt und so versorgt werden, wie sie es brauchen.

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