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Staatlich verordneter Rechtsbruch

Flüchtlingsrat prangert Verstöße gegen maximale Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme an

In Baden-Württemberg werden in zahlreichen Fällen Asylsuchende über die gesetzliche Höchstdauer von sechs Monaten hinaus in den Erstaufnahmeeinrichtungen behalten. Darauf macht der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg aufmerksam. „Uns sind Fälle bekannt, in denen Personen seit 15 Monaten in der Erstaufnahme sind. Wir fordern die Landesregierung auf, diese rechtswidrige Praxis sofort zu unterbinden“, erklärt Seán McGinley, Geschäftsführer des Flüchtlingsrates Baden-Württemberg. Betroffen waren zum Stichtag 31. Januar landesweit 1691 Personen.

Er verweist dabei auf §47 des Asylgesetzes, wonach die Pflicht, in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen, nach längstens sechs Monaten endet. Eine Ausnahme gibt es lediglich für Menschen aus sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“.
Mit der Pflicht, in der Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen, gehen diverse erhebliche Nachteile einher – unter anderem ein Beschäftigungsverbot und die überwiegende Versorgung mit Sach- statt Geldleistungen. „Man mutet den Menschen zu, auf unbestimmte Zeit unter Bedingungen zu leben, die vor nicht allzu langer Zeit maximal für die Dauer von drei Monaten zulässig waren. Die ohnehin mehrfach verschärften Gesetze sind der Regierung offenbar nicht restriktiv genug, so dass man die immer mehr eingeschränkten Rechte der Geflüchteten mit einem staatlich angeordneten Rechtsbruch weiter beschneiden will“, so Seán McGinley.
Offenbar habe das Innenministerium das Regierungspräsidium Karlsruhe als für die Erstaufnahme zuständige Behörde angewiesen, Menschen aus bestimmten Herkunftsländern auch nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist nicht in die vorläufige Unterbringung weiterzuverteilen. Dabei vertrete man nach außen hin den Standpunkt, dass eine Verlegung aus der Erstaufnahme nur auf Antrag zu erfolgen habe. „Dies ergibt sich jedoch weder aus dem Gesetzeswortlaut, noch war eine solche Praxis bislang üblich. Vielmehr ist dies ein vorgeschobenes Argument, um ein rechtswidriges Verhalten dem Schein der Legalität zu geben“, erklärt der Geschäftsführer des Flüchtlingsrates.
Die Absicht, Menschen aus bestimmten Herkunftsländern bei der Verteilung aus der Erstaufnahme zu benachteiligen, wird nach Angaben des Flüchtlingsrates sogar offiziell vom Innenministerium eingeräumt. In einer Antwort auf eine entsprechende Anfrage des Flüchtlingsrates an das Innenministerium heißt es, dass bei Asylantragssteller*innen aus Algerien, Marokko und Tunesien möglichst auf eine Zuteilung auf die Stadt- und Landkreise verzichtet werden soll. In Bezug auf die 1691 Personen, die nicht aus sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ stammen, aber dennoch seit mehr als sechs Monaten in der Erstaufnahme sind, rechtfertigt das Innenministerium dies mit einem „unwahrscheinlichen Bleiberecht“ der Betroffenen – eine fragwürdige Begründung, wie der Geschäftsführer des Flüchtlingsrates findet: „Es ist nicht die Aufgabe des Innenministeriums, bei einem laufenden Asylverfahren in die Glaskugel zu schauen und eine Prognose über den wahrscheinlichen Ausgang zu wagen. Diese Prognosen werden erfahrungsgemäß ausschließlich aufgrund der Herkunftsländer der Betroffenen gemacht, womit sich die Tendenz weg von individuellen Rechten im Asylverfahren immer mehr verfestigt. Das ist leider nicht neu. Neu ist nur, dass dies auch mit rechtswidrigen Mitteln gemacht wird.“
Der Flüchtlingsrat hat eine Musterklage ausarbeiten lassen und den Sozial- und Verfahrensberatungen der Erstaufnahmestellen in Baden-Württemberg sowie diversen Beratungsstellen an Erstaufnahme-Standorten zur Verfügung gestellt. Die Musterklage findet sich auch auf der Website des Flüchtlingsrates. „Wir hoffen, dass die Betroffenen von ihrem Recht Gebrauch machen, und sich in großer Zahl gegen diesen staatlich angeordneten Rechtsbruch zur Wehr setzen“, so McGinley abschließend.

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