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Schluss mit dem populistischen Störfeuer auf Kosten der Flüchtlinge

Pressemitteilung 29.10.2013

„Schluss mit dem populistischen Störfeuer auf Kosten der Flüchtlinge!“

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg fordert die Landes-CDU auf, konstruktiv an der Verbesserung der Lebensbedingungen für Flüchtlinge in Baden-Württemberg mitzuwirken.

Nur wenige Wochen nach dem Bootsunglück vor Lampedusa, bei mehr als 300 Flüchtlinge auf tragische Weise ums Leben gekommen sind, fordert die baden-württembergische CDU Schnellverfahren und eine Neuauflage der Abschreckungs- und Abschiebepolitik.

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg begrüßt, dass die grün-rote Landesregierung trotz der gestiegenen Flüchtlingszahlen an der bereits im Koalitionsvertrag im April 2011 verankerten Verbesserung der Lebensbedingungen für Flüchtlinge in Baden-Württemberg festhält. Aus der Sicht des Flüchtlingsrats ist insbesondere erfreulich, dass das geplante Flüchtlingsaufnahmegesetz, das am 1. Januar 2014 in Kraft treten soll, auch erstmals eine Unterbringung in normalen Wohnungen zulässt, dass Mindeststandards für die Flüchtlingsunterkünfte und die Flüchtlingssozialarbeit festgelegt wurden und dass die Sozialleistungen als Bargeld ausgezahlt werden sollen.

Der Flüchtlingsrat sieht es als kontraproduktiv an, dass die Landes-CDU versucht, diese Schritte in die richtige Richtung mit ihren aktuellen Äußerungen zur Flüchtlingspolitik in Baden-Württemberg zu diskreditieren. „Wir missbilligen in aller Schärfe, dass die Landes-CDU jetzt anfängt, mit altbekannten Ressentiments gegen die geplanten Fortschritte zu polemisieren anstatt konstruktive Vorschläge für Verbesserungen zu machen“, so Angelika von Loeper, 1. Vorsitzende des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg. „Die CDU hängt sich mit der Betroffenheit über die Toten von Lampedusa ein scheinheiliges Mäntelchen um. Diegleiche CDU, die über viele Jahrzehnte für eine restriktive Abschreckungspolitik und schlechte Lebensbedingungen für Flüchtlinge in Baden-Württemberg gesorgt hat. Es ist richtig, dass für eine gute Flüchtlingsunterbringung im Land ausreichend Geld berei gestellt werden muss. Es ist aber beschämend, wenn diese Diskussion dazu missbraucht wird, um eine Rückkehr zu diskriminierenden Sachleistungen, Massenunterbringung und einer Abschiebungspolitik gegen Menschen, denen pauschal Fluchtgründe abgesprochen werden, zu proklamieren.“ Die CDU fordert auch eine Beschleunigung der Asylverfahren. Gegen diesen Vorschlag hat auch der Flüchtlingsrat prinzipiell nichts einzuwenden, denn es sind vor allem Flüchtlinge aus Krisen- und Kriegsstaaten wie Syrien, Afghanistan, Irak, Somalia und Eritrea, die über viele Monate und Jahre auf die (schließlich meist positive) Entscheidung im Asylverfahren warten müssen. Hier hat aber das CSU geführte Bundesinnenministerium über Jahre versäumt, das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge personell ausreichend auszustatten.

Der Flüchtlingsrat weiß, dass die Stadt- und Landkreise angesichts der zunehmenden Flüchtlingszahlen Schwierigkeiten haben, genügend und gute Unterkünfte zu finden und für gute Aufnahmebedingungen zu sorgen. Wir haben dabei auch Verständnis für die Forderung der Stadt- und Landkreise nach einer besseren Kostenerstattung als dies im Entwurf zum Flüchtlingsaufnahmegesetz vorgesehen ist. In unserer eigenen Stellungnahme zum Gesetzentwurf haben wir bemängelt, dass die Kostenpauschale bei der Flüchtlingssozialarbeit und den Unterbringungskosten zu niedrig angesetzt ist und zu Lasten derjenigen Stadt- und Landkreise geht, die sich Mühe geben. Wir haben, wie der Städte- und der Landkreistag, eine Abkehr vom Pauschalensystem und eine Rückkehr zu einer Spitzabrechnung gefordert. Denn dies würde vor allem diejenigen Kreise begünstigen und bestärken, die sich für die Sicherstellung einer guten und humanen Unterbringung im Sinne des geplanten Flüchtlingsaufnahmegesetzes Mühe geben.

Wenn das Land eine Verbesserung der Aufnahmebedingungen erreichen möchte, müssen auch die dafür nötigen Kosten vom Land getragen werden. Im Gegensatz zur CDU sagen wir aber: Wer mehr Geld will, muss auch mehr Qualität liefern. Dies würde bedeuten, dass die Stadt- und Landkreise auch erkennbar Anstrengungen unternehmen müssen, um eine Verbesserung der Standards umzusetzen: Erhöhung der Mindestwohnfläche auf sieben Quadratmeter, Abkehr von krankmachenden Massenunterkünften, Dezentralisierung der Unterbringung durch kleine Unterkünfte und Wohnungen, Umstellung auf Bargeldleistungen im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes, wie im Gesetzentwurf vorgesehen, statt Fortsetzung der diskriminierenden Essenspakete oder Gutscheine.

„Mehr Geld fordern, wie die CDU, und gleichzeitig zu einer rückwärtsgewandten Abschreckungs- und Abschiebepolitik zurückkehren, ist unlauter. Die Toten von Lampedusa forden nicht nur eine Umkehr in der europäischen Flüchtlingspolitik, sondern auch einen humanen Umgang bei uns vor Ort. “, so Angelika von Loeper.

 

 

Hintergrund: Diskussion um die Kostenpauschale im Rahmen des Flüchtlingsaufnahmegesetzes

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg fordert, dass die vom Land geplanten besseren Standards bei der Unterbringung und Sozialversorgung von Flüchtlingen in Baden-Württemberg vom Land finanziert und von den unteren Aufnahmebehörden umgesetzt werden.

Im Zusammenhang mit der von der Landesregierung geplanten Novelle des Flüchtlingsaufnahmegesetzes haben der Städtetag und der Landkreistag von Baden-Württemberg die unzureichende finanzielle Ausstattung der unteren Aufnahmebehörden für die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge in Baden-Württemberg bemängelt. Sie kritisieren die Finanzierungsform per Kostenerstattungspauschale und fordern eine Spitzabrechnung, durch die das Land die realen Kosten trägt.

Aufgrund der gestiegenen Flüchtlingszahlen haben derzeit zahlreiche Stadt- und Landkreise Schwierigkeiten, neue Unterkünfte für die Flüchtlinge zu finden und die Kosten zu finanzieren. Weil es zu wenige Sozialwohnungen gibt und um Kosten zu sparen werden als schnelle „Notlösungen“ in zahlreichen Kreisen Wohncontainer aufgestellt oder ehemalige Massenunterkünfte reaktiviert. Dies führt aktuell zu einer Verschlechterung der Lebensbedingungen für die Asylsuchenden in Baden-Württemberg. Dies hat zwischenzeitlich auch die Landesregierung erkannt. So plant Finanzminister Schmid (SPD), noch in diesem Jahr weitere Mittel für die Unterbringung der Flüchtlinge in den Stadt- und Landkreisen bereitzustellen. Bis zu 50 Millionen Euro sollen in den Nachtragshaushalt eingestellt werden, um eine gute Unterbringung sicherzustellen. Ministerpräsident Kretschmann hat darüber hinaus eine Überprüfung des Systems der Kostenerstattungspauschale für die Stadt und Landkreise in Aussicht gestellt.

 Der vom Integrationsministerium vorgelegte Gesetzentwurf sieht vor, dass pro aufgenommenem und an die Stadt- und Landkreise zur „vorläufigen Unterbringung“ zugewiesenen Asylsuchenden eine Pauschale von 12.316 Euro pro Person (2014) gezahlt werden soll (2015: 13.010 Euro, 2016: 13.722 Euro). Damit werden die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu gewährenden Sozialleistungen sowie Kosten für Verwaltung, Liegenschaften, Sozialbetreuung und Krankheit pauschal erstattet. Nach Berechnungen der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege werden den Kreisen vor allem für die Flüchtlingssozialarbeit deutlich weniger Mittel zur Verfügung stehen als in den vergangenen Jahren unter der CDU-Regierung. Die Konsequenz wäre eine qualitative Verschlechterung der Sozialbetreuung der Flüchtlinge. Auch der geringfügig angehobene Pauschalenanteil für die Finanzierung der Unterkünfte lässt kaum qualitative Verbesserungen erwarten. Die im Gesetz geplante jährliche geringfügige Erhöhung wird nicht dazu führen, dass die tatsächlichen Ausgaben der Kreise gedeckt werden.

Die Pauschale wirkt aus Sicht des Flüchtlingsrats grundsätzlich in die falsche Richtung, weil sie die Stadt und Landkreise davon abhalten wird, Verbesserungen bei der Unterbringung und der Flüchtlingssozialarbeit umzusetzen, wenn die dafür erforderlichen Kosten vom Land nicht getragen werden. Aus Sicht des Flüchtlingsrats sind die Forderungen der Stadt- und Landkreise aber nur dann glaubwürdig, wenn auch tatsächlich die Bereitschaft zur Verbesserung der Unterbringung und Sozialversorgung der Flüchtlinge in die Tat umgesetzt und nicht für „unmöglich“ erklärt wird (vgl. Pressemitteilung des Städtetags BW vom 9.10.2013).

Aus Sicht des Flüchtlingsrats sind deswegen Verbesserungen sowohl beim Gesetzentwurf zum FlüAG als auch bei der Umsetzung in die Praxis durch die unteren Aufnahmebehörden nötig. Der Flüchtlingsrat schlägt vor:

  • Es müssen glaubwürdige und intensive Anstrengungen unternommen werden, um Liegenschaften zu finden, die zur humanen Flüchtlingsunterbringung geeignet sind. Organisationen der Flüchtlings- und Migrationsarbeit sowie relevante kommunale Gruppen und Organisationen und nicht zuletzt auch die Anwohner/innen müssen in den Prozess der Suche und Eröffnung neuer Unterkünfte von Anfang an einbezogen werden, um unnötige öffentlich ausgetragene Konflikte („Bürgerproteste“) und eine von rassistischen Ressentiments geprägte negative Diskussion über die „Belastungen durch Asylbewerber“ möglichst zu vermeiden.

  • Wenn die verbleibenden Sammelunterkünfte aufgrund ihrer Lage geeignet sein sollen, eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, wie im Gesetzentwurf vorgesehen, dann müssen Unterkünfte, die weitab von größeren Städten, z.B. in Dörfern am Rande des Landkreises liegen, sowie Unterkünfte, die in Industriegebieten liegen, sukzessive aufgegeben und durch geeignetere Liegenschaften ersetzt werden. Solange weiter Sammelunterkünfte betrieben werden, sollten diese keinen Massenunterbringungs-, sondern eindeutigen Wohncharakter haben und eine Kapazität von 50 Personen nicht überschreiten. Dies schließt aus unserer Sicht den derzeit in vielen Kreisen als „Notlösung“ kategorisierten Betrieb von Wohncontainern aus.

  • Die Erhöhung der Mindestwohnfläche von 4,5 auf 7 Quadratmeter pro Person in den Sammelunterkünften muss, wie im Gesetzentwurf vorgesehen, sukzessive und in allen Stadt- und Landkreisen realisiert werden. Die bisherige Situation ist von räumlicher Enge, mangelnder Privatsphäre und insgesamt krankmachenden Lebensbedingungen geprägt.

  • Wenn im Rahmen des zukünftigen Gesetzes eine Unterbringung in Wohnungen zugelassen wird, sollte angestrebt werden, dass die Unterbringung von Asylsuchenden in Sammelunterkünften sukzessive zur Ausnahme und die Unterbringung in Wohnungen zur Regel wird. So wird es beispielsweise in Rheinland-Pfalz längst praktiziert. Damit dies realisierbar wird, müssen Asylsuchende in die soziale Wohnungsversorgung integriert werden. Hierzu braucht es Anstrengungen zum Ausbau des sozialen Wohnungsbaus auf kommunaler Ebene. Die Stadt- und Landkreise müssen es sich zur Aufgabe machen, auch auf dem privaten Wohnungsmarkt normale Wohnungen zur Flüchtlingsunterbringung anzumieten.

  • Besonders schutzbedürftige Flüchtlinge sowie Flüchtlinge, die im Rahmen eines Kontingents aufgenommen werden (und bereits von Anfang an einen Anspruch auf eine eigene Wohnung haben), sollten nicht in Massenunterkünften untergebracht werden.

  • Die für die „vorläufige Unterbringung“ vorgesehenen Mindeststandards müssen genauso für die kommunale Anschlussunterbringung realisiert werden. Da der Zweck der Anschlussunterbringung primär darin besteht, die weitere Integration und die Unabhängigkeit von Transferleistungen vor allem von anerkannten Flüchtlingen zu befördern, sollte gerade hier eine Unterbringung in isolierten Massenunterkünften, Obdachlosenheimen oder Containern (wie derzeit in Leonberg geplant) ausgeschlossen werden. Auch hier braucht es Anstrengungen bei der Suche nach geeignetem Wohnraum, bei dem staatlichen Behörden und Organisationen der Flüchtlingshilfe aktiv zusammenarbeiten müssen.

  • Nicht zuletzt: Der Gesetzentwurf für das Flüchtlingsaufnahmegesetz sieht vor, dass für die Dauer der vorläufigen Unterbringung eine Leistungsgewährung in Form von Sachleistungen außer Betracht bleiben soll. Dies verstehen wir so, dass alle Stadt- und Landkreise zum Inkrafttreten des Gesetzes von diskriminierenden Sachleistungsformen auf Bargeldleistungen umgestellt haben müssen. Obwohl dies bereits durch die „Vorläufigen Anwendungshinweise“ des Integrationsministeriums vom 1.8.2012 möglich gewesen wäre, haben bisher nur 16 der 44 Kreise auf Geldleistungen umgestellt. Landkreise wie Freudenstadt oder der Enzkreis liefern nach wie vor Essenspakete mit der besonders perfiden Begründung, dass aufgrund der teilweisen Ablehnung der Paketverpflegung durch die Asylsuchenden Geld zu sparen sei.


Berichte und Informationen über Flüchtlingsunterkünfte und -unterbringung in den Stadt- und Landkreisen finden Sie hier: www.fluechtlingsrat-bw.de/soziale-lebensbedingungen-unterbringung.html

Die Stellungnahme des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg zum Gesetzentwurf für ein Flüchtlingsaufnahmegesetz für Baden-Württemberg schicken wir Ihnen gerne auf Anfrage zu.

Den Entwurf des Flüchtlingsaufnahmegesetzes und der Durchführungsverordnung finden Sie auf der Homepage des Ministeriums für Integration: www.integrationsministerium-bw.de

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