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Informationen zu Sammelabschiebungen nach Afghanistan

Nächste Abschiebung soll am 7. Januar stattfinden

Die Bundesregierung setzt die Sammelabschiebungen nach Afghanistan fort. Auch Baden-Württemberg beteiligt sich immer wieder daran. Offiziell ist es so, das aus Baden-Württemberg nur "Straftäter, Gefährder oder Personen, die sich hartnäckig der Identitätsklärung verweigern" abgeschoben werden. Ungeachtet dessen lehnt der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg Abschiebungen nach Afghanistan grundsätzlich ab. Da die Abschiebungen immer wieder für Verunsicherung und Angst bei den Betroffenen und ihrem Umfeld sorgen, möchte der Flüchtlingsrat mit den folgenden Tipps und Informationen unterstützen.

 

Zunächst eine kurze Zusammenfassung, worauf es für die afghanischen Geflüchteten und ihre Unterstützer*innen in dieser Situation ankommt:

 

1) Klarheit haben, wer potenziell von der Abschiebung betroffen ist und wer nicht

 

2) Wer potenziell von der Abschiebung bedroht ist, sollte:

- Vertrauenswürdige Personen (Freund*innen, Ehrenamtliche) um Unterstützung bitten und diesen mitteilen, wer sie anwaltlich vertritt. So kann sichergestellt wird, dass der Anwalt / die Anwältin kontaktiert werden kann, falls die Person in Abschiebehaft genommen wird

- Andere Möglichkeiten eines Bleiberechts prüfen, z.B. Folgeantrag, Duldung, Härtefallantrag

 

3) Beziehen Sie Position gegen die Abschiebungen

 

4) Melden Sie sich beim Flüchtlingsrat Baden-Württemberg, wenn jemand, den Sie kennen, in Abschiebehaft genommen bzw. zur Abschiebung abgeholt wird.

 

5) Informieren Sie sich selbst und andere!

 

1. Wer ist gefährdet?

Die Angst und Verunsicherung bei afghanischen Geflüchteten ist verständlicherweise groß. Dennoch ist es wichtig, nicht in Panik zu verfallen, sondern die Gefahrenlage korrekt einzuschätzen. Menschen, die sich noch im Asylverfahren befinden (noch keine Entscheidung erhalten haben oder mit laufender Klage gegen eine Ablehnung – sofern der Asylantrag einfach und nicht als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt wurde) können nicht abgeschoben werden. Auch Personen, die eine Duldung erhalten haben aufgrund eines immer noch bestehenden Grundes (z.B. weil sie eine Ausbildung machen oder reiseunfähig sind), können nicht abgeschoben werden.

Während eines laufenden Asylverfahrens darf kein Mensch abgeschoben werden. Denn im laufenden Verfahren verfügen Asylsuchende über einen Ankunftsnachweis, eine Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender (BÜMA) oder eine Aufenthaltsgestattung. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) prüft, ob ein Schutzbedarf besteht. Erst im Falle einer negativen Entscheidung besteht die Gefahr einer Abschiebung. Aber auch dann hat die betroffene Person 30 Tage Zeit um freiwillig auszureisen, sofern der Asylantrag einfach und nicht als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt wurde.

Familien, unbegleitete Minderjährige sowie Frauen werden zur Zeit nicht abgeschoben.

Unbedingt sollten auch Afghan*innen, die schon länger hier leben und eventuell arbeiten und gar nicht mehr daran denken, dass sie vor ein oder zwei Jahren abgelehnt worden sind, ausfindig gemacht und gewarnt werden.

Nach Angaben der Bundesregierung werden zur Zeit nur "Straftäter", "Gefährder" und "Personen, die sich hartnäckig der Identitätsfeststellung verweigern" abgeschoben. Wichtig ist, dass entgegen der weit verbreitet Darstellung keineswegs nur Personen, die schwere Verbrechen bzw. Gewaltverbrechen begangen haben, als "Straftäter" eingeordnet und abgeschoben werden können. Der Begriff "hartnäckige Verweigerung der Identitätsfeststellung" ist rechtlich nicht definiert. Um sich nicht in Gefahr zu begeben, in diese Kategorie eingeordnet zu werden, ist es besonders wichtig, die gesetzlichen Mitwirkungspflichten bei der Beschaffung von Identitätsdokumenten zu erfüllen und sämtliche Bemühungen in diesem Zusammenhang gut zu dokumentieren.

 

2. Was kann man tun?

 

Eine ausführliche Zusammenfassung von Hinweisen für die Beratungspraxis finden Sie im Beitrag von Heiko Habbe im Asylmagazin.

 

Folgeantrag

Für die oben beschriebene Personengruppe, bei denen die Asylanträge abgelehnt und die Klage abgewiesen worden ist, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Zum einen kann ein Folgeantrag in Erwägung gezogen werden. Wegen der aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan, stellen viele Betroffene sog. Folgeanträge. Mit diesen Anträgen soll überprüft werden, ob sich die Lage seit der negativen Entscheidung des Asylantrages im Herkunftsland verändert hat und die Fluchtgründe neu geprüft werden müssen. In einigen Fällen machen Folgeanträge durchaus Sinn und sollten als Handlungsoption geprüft werden. Hierbei kann man sich z.B. auf die jüngsten Erkenntnisse bezüglich der Situation in Afghanistan berufen (siehe verlinkte Informationsressourcen unten auf dieser Seite).

 

Beim Folgeantrag sind folgende Grundsätze zu beachten:

– Der Antrag ist in der Regel durch persönliche Vorsprache bei der Außenstelle des Bundesamtes zu stellen, bei der schon die Erstantragstellung erfolgte – eine anwaltliche Begleitung  braucht man dafür nicht zwingend;

– ein gestellter Asylfolgeantrag schützt, solange das Bundesamt über ihn nicht entschieden hat, vor einer Abschiebung;

Dabei prüft das Bundesamt  einen Folgeantrag in zwei Prüfungsschritten. Zuerst prüft es, ob Gründe für das Wiederaufgreifen des Verfahrens vorliegen. Nur dann wird  ein weiteres Asylverfahren durchgeführt. Im zweiten Schritt prüft das Bundesamt dann, ob die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a GG), die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes (§ 60 Abs. 1 oder 2 AufenthG) oder für Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen.

Der Schutz durch einen Asylfolgeantrag wird aber in aller Regel nur durch  die Ausländerbehörden berücksichtigt,  wenn ihnen eine schriftliche Bestätigung des Bundesamtes über die Asylfolgeantragstellung vorliegt, weshalb bei der Vorsprache beim Bundesamt auf die Aushändigung einer solchen Bestätigung geachtet werden sollte. Ist ein Folgeantrag gestellt und man hat Sorge, dass eine Abschiebung erfolgen könnte, sollte (gegebenenfalls mehrfach) beim BAMF nachgefragt werden, ob eine Entscheidung über das Vorliegen von Wiederaufnahmegründen existieren. Auch ein Antrag auf vorbeugenden einstweiligen Rechtsschutz ist zu erwägen.

– Folgeanträge sollten, um nicht zu riskieren, dass sie in kürzester Zeit abgelehnt werden, am besten schon bei der Vorsprache oder zumindest kurz danach begründet werden – hierfür lohnt es sich, mit einer Beratungsstelle oder einer Anwaltskanzlei Kontakt aufzunehmen.

Lehnt das Bundesamt den Asylfolgeantrag ab – was mitunter die für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde aufgrund der unterschiedlichen Kommunikationswege (Fax an Ausländerbehörde, Postzustellung an Antragsteller) etwas früher erfährt als der Antragsteller – darf die Ausländerbehörde wieder mit Abschiebemaßnahmen beginnen, es sei denn, es werden Klage und Eilantrag beim Gericht eingelegt.

Der Münchener Rechtsanwalt Hubert Heinhold hat ein Informationsblatt zum Thema "Folgeanträge bei Menschen aus Afghanistan" erstellt.

 

Duldung, Härtefallantrag

Sollten Betroffene medizinische oder psychologische Probleme haben, so ist es ratsam entsprechende Atteste zügig zu beschaffen. Wenn sich zudem die Lebenssituation der Betroffenen verändert hat, z.B. durch Heirat mit einer Person, die hier einen Aufenthaltsstatus hat, oder durch die Geburt eines Kindes, sollte zusammen mit Beratungsstellen geklärt werden, ob dies für den Einzelfall eine günstige Auswirkung für einen Verbleib in Deutschland hat.

Wenn Betroffene besonders schutzbedürftig sind oder gut integriert – beispielsweise weil sie eine Arbeitsstelle haben, kann sich bei einer drohenden Abschiebung ein Gang vor eine Härtefallkommission lohnen. Diese gibt es in jedem Bundesland. In der Regel ist es nicht möglich einen Härtefallantrag zu stellen, wenn der Betroffene Straftaten von erheblichem Gewicht begangen hat. Dies wird von den Bundesländern sehr unterschiedlich gehandhabt, weswegen man sich beim Vorliegen von Strafen umfangreich informieren sollte.

Unter Umständen kann bei längerem Aufenthalt ein dauerhaftes Bleiberecht in Betracht kommen. Schon ein sechs bis achtjähriger Aufenthalt kann für ein Bleiberecht ausreichend sein (§ 25b Aufenthaltsgesetz). Jedoch setzen die meisten Aufenthaltstitel zumindest den Nachweis der (teilweisen) Lebensunterhaltssicherung und weitere Aspekte nachhaltigen Integration voraus. Für Minderjährige und junge Volljährige bis zum 21. Lebensjahr kann sich ein erfolgreicher vierjähriger Schulbesuch ebenfalls positiv auswirken (§ 25a Aufenthaltsgesetz).

Neu ist auch die Möglichkeit, dass die Abschiebung während einer Ausbildung nicht durchgeführt wird. Die neue Ausbildungsduldung ist nicht mit einer Duldung an sich zu verwechseln. Bei der Ausbildungsduldung müssen bestimmte Voraussetzungen vorliegen und eine Ausbildung nachgewiesen werden – PRO ASYL hat hierzu umfangreiche Informationen veröffentlicht. Generell gilt leider: Arbeit schützt vor Abschiebung nicht. Betroffene, die einen Arbeitsvertrag haben, sollten sich nicht sicher sein, dass sie nicht abgeschoben werden. Eine Arbeitsstelle ist hilfreich für den Nachweis einer gelungenen Integration und hat Auswirkungen auf Härtefallanträge und ein Bleiberecht. Arbeiten alleine reicht aber nicht aus.

Hier finden Sie Informationen zu Perspektiven für eine Aufenthaltsverfestigung nach der Ablehnung des Asylantrages.

 

Abschiebungen werden nicht angekündigt

Die Personen, die abgeschoben werden, werden im Vorfeld nicht informiert. Es ist damit zu rechnen, dass die Betroffenen in Abschiebehaft genommen werden, wie bei den vorherigen Afghanistan-Abschiebungen bereits erfolgt. Deshalb ist es wichtig, dass potenziell Betroffene ihr Umfeld informieren und dafür gesorgt ist, dass ihr Anwalt / ihre Anwältin kontaktiert wird.

Sollte eine zur Abschiebung vorgesehene Person nicht angetroffen werden, weil sie z.B. im fraglichen Zeitraum nicht zu Hause übernachtet, wird sie auch nicht abgeschoben. Wer als untergetaucht gilt, kann allerdings möglicherweise zur Fahndung ausgeschrieben und in Abschiebehaft genommen werden.

 

 

3. Beziehen Sie Position gegen die Abschiebungen

In der Vergangenheit wurden oft an verschiedenen Orten Proteste gegen Abschiebungen nach Afghanistan organisiert - teilweise auch direkt an den Tagen der geplanten Abschiebungen. Wenn Sie eine Aktion planen, sagen Sie uns bescheid - wir veröffentlichen die Termine und Orte, wenn wir rechtzeitig davon erfahren. Mailen Sie uns am besten die Infos an info@fluechtlingsrat-bw.de

Viele Ehrenamtliche schreiben Briefe an ihre Bundes- und Landtagsabgeordneten, um ihre Meinung über die Abschiebungen nach Afghanistan zu äußern. Gerade im Wahljahr und gerade angesichts der Tatsache, dass flüchtlingsfeindliche Stimmen sich besonders laut im gesellschaftlichen Diskurs bemerkbar machen, ist es wichtig, dass auch diejenigen, die sich für eine menschliche Flüchtlingspolitik einsetzen, sich auch Gehör verschaffen – auch Sie sind Wähler*innen und auch ihre Interessen und Meinungen sollten von den politisch Verantwortlichen ernst genommen werden.

Hier als Beispiel ein Brief von Ehrenamtlichen an ihre lokale Landtagsabgeordnete.

 

4. Kontaktieren Sie den Flüchtlingsrat Baden-Württemberg, wenn jemand in Abschiebehaft genommen wird

Wir sammeln die Fälle zwecks Dokumentation und (in Absprache mit den Betroffenen) Öffentlichkeitsarbeit. Dies ist besonders wichtig, um die Öffentlichkeit aufzuklären über die menschlichen Schicksale hinter Abschiebungen.

E-Mail: info@fluechtlingsrat-bw.de

Telefon: 0711-55 32 83 4 (Montag bis Freitag, 14 bis 17 Uhr, Dienstag zusätzlich bis 19 Uhr)

 

5. Informieren Sie sich und andere

Informationen von „Welcome2Europe“ in Deutsch, Englisch, Dari und Paschto:

http://w2eu.info/germany.en/articles/germany-deportation-afghanistan.en.html

Dies ausführlichen und mehrsprachigen Informationen eignen sich besonders gut zur Verbreitung unter den afghanischen Geflüchteten

Themenseite von Pro Asyl

https://www.proasyl.de/thema/unsicheres-afghanistan/

 

 

Links zu Erkenntnismitteln zur aktuellen Situation im Land

https://www.proasyl.de/thema/unsicheres-afghanistan/fachwissen/

 

Aktuelle Berichte zur Situation in Afghanistan:

Der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig (Afghan Analysts Network) kommentiert in seinem Blog regelmäßig die aktuellen Entwicklungen in Afghanistan:

https://thruttig.wordpress.com/

Der Menschenrechtskoordinator der Vereinten Nationen in Afghanistan, Toby Lanzer, hat gewarnt, dass mindestens drei Millionen Afghanen in absoluter Ernährungsunsicherheit leben und die Gefahr einer Hungersnot ihr Leben bedroht. 
http://parstoday.com/de/news/middle_east-i44045-uno_drei_millionen_menschen_in_afghanistan_sind_in_absoluter_ern%C3%A4hrungsunsicherheit

Eine ausführliche Reportage des britischen Senders BBC stellt fest, dass in 70% des Landes die Taliban entweder die Kontrolle ausübt oder zumindest offen agieren kann.
http://www.bbc.com/news/world-asia-42863116

Ein Bericht der Europäischen Union beschreibt die Verschärfung des Konfliktes in den vergangenen Jahren
http://ec.europa.eu/echo/where/asia-and-pacific/afghanistan_en

"Save the Children" berichtet über die Situation zurückgekehrter Kinder:
https://www.savethechildren.de/fileadmin/user_upload/Downloads_Dokumente/Berichte_Studien/2018/Report_Afghanistan_20181000.pdf


Die Hilfsorganisation Oxfam widerspricht der Behauptung, es gebe sichere Regionen in Afghanistan
https://oxfamilibrary.openrepository.com/oxfam/bitstream/10546/620399/4/rr-returning-fragility-afghanistan-310118-en.pdf

Ein Bericht des Norwegischen Flüchtlingsrates, basierend auf Untersuchungen vor Ort in verschiedenen Regionen, kommt zu dem Schluss, dass 72% der Rückkehrenden in Afghanistan zur erneuten Flucht gezwungen werden.
https://www.nrc.no/globalassets/pdf/reports/escaping-war-where-to-next2/nrc_idp_escaping-war_where-to-next.pdf

 Auch Amnesty International legt in einem Bericht dar, wie gefährlich die Situation für diejenigen ist, die aus Europa zurückkehren.
https://www.amnesty.org/en/documents/asa11/6866/2017/en

Ein UNHCR-Bericht (3.2.2017) erklärt, warum das Flüchtlingshilfswerk der UNO aktuell keine Rückkehrmaßnahmen nach Afghanistan unterstützt:
http://www.unhcr.org/afr/news/briefing/2017/2/589453557/tough-choices-afghan-refugees-returning-home-years-exile.html

 

 

Dokumentation des Afghanistan-Fachtages des Flüchtlingsrates Baden-Württemberg am 3. Dezember 2016 in Stuttgart

http://fluechtlingsrat-bw.de/veranstaltungen-ansicht/fachtag-afghanistan-sichere-rueckkehr.html

 

 

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