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Erfahrungsbericht zur Gambia-Abschiebung vom 29. Januar

Der Flüchtlingsrat hat einen Bericht erhalten von einer Person, die zum Zeitpunkt der Sammelabschiebung nach Gambia am 29. Januar zufällig vor Ort war und am Flughafen die Ankunft der Abgeschobenen mitbekommen hat. Die Person ist namentlich bekannt, möchte aber nicht genannt werden. Wir dokumentieren den Bericht mit Erlaubnis dieser Person.

 

Ich war zwei Wochen in Gambia, mein Abflugtermin hat sich mit dem Abschiebetermin gedeckt.

Für die Arbeit anderer Flüchtlingsbegleiter möchte ich hier versuchen objektiv zu berichten, was ich gesehen und erfahren habe.

Mit meinen persönlichen Daten, die meiner Kontaktpersonen in Gambia und ebenso der Abgeschobenen möchte ich vorsichtig umgehen. 

Dieser Bericht kann und darf geteilt werden.

Kurz nach meiner Ankunft in Gambia habe ich von dem Abschiebetermin erfahren.

Die erste Information die ich erhielt war eine Bestätigung des Fluges und dass auf der Passagierliste 120 Personen stehen. Nächste Information war, dass das Flugzeug um 15 Uhr Ortszeit landen soll. Das wurde gegen Mittag korrigiert auf 1 Uhr nachts und fast zur selben Zeit kam die Info, dass das Flugzeug vom Radar verschwunden sei.

Dann kam kurz vor 19 Uhr die Meldung, dass sich das Flugzeug im Senegal befinde und im Anflug auf Dakar sei. Dies war jedoch nicht der Fall, das Flugzeug überflog Dakar und landete gegen 19.30 Uhr in Banjul Yundum Airport.

Ich habe mich sofort auf den Weg gemacht, hatte aber 40 Minuten Fahrtzeit und es war Rushhour.

Um 20 Uhr bin ich am Flughafen angekommen.

Das Auschecken war gerade im Gange. Alle hatten Schachteln dabei in der Größe von ca. 40x50 cm mit ausgedruckten Namen drauf. Diese Kartons wurden durchsucht, kein deutsches Sicherheitspersonal war zu sehen, alles in gambischer Hand, niemand war zu diesem Zeitpunkt gefesselt.

Vor Ort waren Vertreter*innen der gambischen Immigrationsbehörde und des (deutschen) Auswärtigen Amtes. Wir haben vor Ort keine IOM gesehen! Wir haben mit den Abgeschobenen gesprochen und ihnen die Arbeit der IOM erklärt und ihnen deren Adresse gegeben, mit dem Verweis sie sollen sich dort hinwenden und um Hilfe bitten.

Sie haben uns weder gesagt, dass sie 60€ von der IOM bereits erhalten hätten, wie zwischenzeitlich auf Social Media behauptet wird, noch haben wir die IOM gesehen.

Ich war ebenfalls vor einem Jahr bei der IOM in Gambia und habe mich vor Ort über deren Arbeit informiert. Damals sagten sie, dass sie normalerweise bei Abschiebungen vor Ort sein und die Abgeschobenen mit Hilfestellungen unterstützen möchten, Arbeit, Wohnmöglichkeit, etc., jedoch nicht mit Geldmittel von Hand zu Hand. Dass momentan jedoch die ganzen Ressourcen, auch zeitlich, durch den Freikauf von Gambiern aus Libyen erschöpft sei und sie sich gerade fast ausschließlich damit beschäftigen.

Nach etwa einer halben Stunde kam die Gruppe aus dem Gebäude auf einen Vorplatz, jeder hatte einen Karton und wenige noch zusätzlich Koffer oder Taschen, ca. zwei bis drei Personen.

Die Gruppe aus Stuttgart war komplett nur mit Kartons ausgestattet. Kartons fielen zu Boden, weil einer außer Kontrolle geriet, Kartons öffneten sich, Tumult und Geschrei.

Der Erste kommt aus dem Tor heraus, aus Freiburg, abgeschoben mit Geburtsurkunde, nach Nachfrage ob kriminell und zuvor im Gefängnis, glaubwürdige Ablehnung.

Er war der einzige, der von seiner Familie in Empfang genommen wurde und auch der einzige, der sagte, dass er telefonieren durfte.

Der nächste aus Rheinfelden, keine Geburtsurkunde, kein Passport, ohne jegliche Dokumente, hat zeitweise gearbeitet, war im Gefängnis.

Dann zwei aus Baden-Baden, nochmal einer aus Freiburg, einer vermutlich aus Entringen (verstanden habe ich „Ertingen“) und der Rest aus Stuttgart und vermutlich Umgebung.

Zwei sagten, sie wären mit einer EU-Bürgerin verheiratet, alle Dokumente abgegeben, einer war im Papier-Beschaffungsprozess für Heirat, ebenso alle Dokumente abgegeben und ein weiterer hatte ein Kind. Die meisten hatten Arbeit, aber wohl eher unregelmäßig.

Die Stuttgarter Gruppe kam zusammen heraus, geladen auf die Ladefläche eines Pickup, begleitet von etwa knapp zehn Immigration Officers.

Diese Gruppe habe ich nicht mehr nach Straftaten oder sehr persönlichen Dingen gefragt, das war einfach in dieser Situation zu unterlassen. Wir haben uns unterhalten, ich habe versucht, sie zu beruhigen und hatte den Eindruck, dass es gut bei ihnen ankam, dass da jemand war, der an ihrem Schicksal Anteil nahm.

Aber eine Sache ist mir aufgefallen:

In dieser Stuttgarter Gruppe war einer sehr auffällig, psychisch auffällig. Er war ruhig, aber stotterte sehr sehr sehr, konnte sich kaum artikulieren. Das war ein Mann der sagte, er lebte obdachlos in Stuttgart. Das war ein Mensch ohne Chance im Leben, weder in Deutschland, noch in Gambia, er wirkte hilflos und gebrochen.

Ein weiterer, der zweite von den Einzelnen, die aus dem Gebäude kamen, war der Randalierer, hatte ihn vorher schon im Gebäude austicken sehen, völlig unberechenbar, war wild und ins Tiefste frustriert. Er ist mit einer, wie er sagte, Jugoslawin verheiratet, er drohte die nächste deutsche Person, der er begegnet, umzubringen. Wortreiche Statements.

Insgesamt bleibt zu sagen:

Es gab Abgeschobene, die Passport und Geburtsurkunde vorgelegt hatten und nicht im Gefängnis waren, andere wurden nur mit Geburtsurkunde abgeschoben und andere komplett ohne Papiere.

Nur zwei sagten, dass sie im Gefängnis waren, bei manchen hat mich die verneinende Antwort nicht ganz überzeugt, andere waren glaubwürdig.

Der Stuttgarter Gruppe habe ich die Frage nach Kriminalität nicht gestellt, war mir in der Gruppe zu intim, aber die Frage nach Dokumenten und Wohnort.

Die Gruppe auf dem Pickup gab mir die Erlaubnis zu fotografieren, aber das Sicherheitspersonal saß eben auch dabei und wollte nicht fotografiert werden, sie sagten aber, die Jungs könnten vom Pickup steigen, dazu war es aber dann doch zu chaotisch.

Der Pickup fuhr dann los.

Ich hatte noch einen Termin zur Übergabe einer Geburtsurkunde am Gate des Flughafens. Aufgrund eines Missverständnisses wartete mein Kontaktmann jedoch am Gate rund einen Kilometer außerhalb, also fuhren wir dorthin und wurden dadurch zufällig Zeuge, dass genau dort an dieser Stelle die Leute mit ihren Kartons vom Pickup geworfen wurden, ca. 30 Minuten Fahrt von der City entfernt.

Das hat mich von allem am allermeisten schockiert.

Es ergibt sich keine Abschieberichtlinie, es war alles dabei, ein Querschnitt durch die Gesellschaft: Menschen mit und ohne Arbeit, unterschiedliche Dokumente und komplett ohne Dokumente, Verheiratete, ein Vater, ein Obdachloser, von Ausbildung hat keiner etwas erzählt.

Die Fluglinie war die bankrotte Germania Airline. Es waren Begleitpersonen im Flugzeug, die das Flughafengelände um 21 Uhr mit zwei Reisebussen verlassen haben, beide Busse waren etwa zu dreiviertel besetzt mit Weißen in Zivil.

Ich habe sie nicht aus dem Gebäude kommen sehen, aber unser Tor wurde für etwa 10 Minuten geschlossen.

Wir haben dort ca. 15 Abgeschobene gesehen, unsere Kontaktperson und ein Abgeschobener sprachen beide unabhängig voneinander von 30-40 Personen. Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass die Maschine mit weiteren Personen nach Nigeria weiterflog, da das Sicherheitspersonal, also ca. 80-100 Personen das Flugzeug verlassen und offensichtlich in Gambia übernachtet haben.

 

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