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Das Grundrecht auf Diskriminierung

Ein Kommentar zu Günter Oettinger und seinen Verteidigern

Nach der Kritik an den rassistischen und homophoben Äußerungen von Günter Oettinger holen die Verteidiger alteingesessener Privilegien zum Gegenschlag aus. In den „Stuttgarter Nachrichten“ ergreift Wolfgang Molitor mit einem leidenschaftlichen Appell Partei für das Grundrecht eines jeden heterosexuellen biodeutschen Mannes, andere herabzuwürdigen.

 

Ein Kommentar von Seán McGinley, Geschäftsführer des Flüchtlingsrates Baden-Württemberg


Der tapfere Kämpfer gegen die „Political-Correctness-Geier“, der „aus der politischen Koppel glattrasierter Floskeln und platter Formeln ausbricht“ - der sagt, was doch eh alle denken. Das wird man wohl noch sagen dürfen. Ein Mann des Volkes „Unser Oetti“. Das ist genau die Sorte Politiker, die sich Pegida und AFD wünschen.
Genau wie Pegida und die AFD steht Oettinger für ein Deutschland, das es seit mindestens 50 Jahren nicht mehr gibt. Ein Deutschland, in dem Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind, tagtäglich den Eindruck vermittelt bekommen, dass sie nicht dazugehören – weil sie aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Sexualität, ihrer Religion oder anderer Merkmale nicht in das überholte Weltbild von Oettinger und Co. passen. Ein Deutschland, in dem weiße heterosexuelle biodeutsche Männer mittleren bis fortgeschrittenen Alters durch ihre Hegemonie in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Medien bestimmen, was die Norm ist, wer dazugehört und wer nicht. Und allen, die sich dagegen wehren, ein aggressiv-überhebliches „einfach mal die Schnauze halten“, entgegenwerfen.
„seine Versicherung, er habe sie nicht respektlos gemeint, schlimmstenfalls ungehörig salopp, darf man ihm abnehmen“, postuliert Molitor. Warum denn eigentlich? Weil Herr Oettinger nicht persönlich Flüchtlingsheime anzündet oder Homosexuelle auf der Straße verprügelt, und weil jemand, der dies nicht tut, per Definition nicht rassistisch oder homophob sein kann?
Wer durch entsprechende Äußerungen zur Verbreitung von Vorurteilen und Ressentiments beiträgt, baut ein kleines Mosaiksteinchen in das Gesamtbild einer Gesellschaft, die so etwas wie den NSU hervorbringen konnte – dieser hat seine Taten bekanntlich damit rechtfertigt, er würde den eigentlichen „Volkswillen“ vollstrecken. Zahlreiche rechte Gewalttäter haben die gleiche Motivation, wenn sie Übergriffe auf Menschen verüben, die nicht in ihr verengtes Weltbild passen.
Aggression ist ein Zeichen der Schwäche. Wer Recht hat, kann sich in der öffentlichen Debatte mit Argumenten durchsetzen. Wer keine Argumente hat, braucht Gewalt (tatsächliche oder verbale), Einschüchterung und autoritäre Mittel, um sich gegen Kritik zu behaupten. In diesem Kontext ist die aggressive Reaktion von Menschen wie Molitor zu verstehen. Ihre Angst vor einer Veränderung kommt auch in der Selbstinszenierung als Opfer zum Vorschein, wenn in verschwörungsideologischer Manier das Bild einer übermächtiger Political-Correctness-Diktatur entworfen wird, die dem geknechteten Stammtisch-Deutschen sein Grundrecht auf unwidersprochener Diskriminierung nehmen will. Es ist ein merkwürdiges Verständnis von Meinungsfreiheit, das Andersdenkenden das Recht auf Kritik abspricht. Aber das passt zu den Weltbild, dass angesichts der Fortschritte bei der Gleichberechtigung homosexueller Paare gleich die „Homo-Pflichtehe“ herbeiphantasiert.
Die Gesellschaft hat sich verändert. Diskriminierende Weltbilder sind zwar noch weit verbreitet, aber sie können zumindest nicht mehr immer offen ausgesprochen werden, ohne kritisiert und in Frage gestellt zu werden.
Das Problem ist nicht, dass solche Einstellungen ausgesprochen werden. Das Problem ist, dass sie in den Köpfen vorhanden sind, auch wenn sie nicht immer ausgesprochen werden. Die Schlussfolgerung daraus ist allerdings nicht, dass man widerspruchslos hinnimmt, dass diskriminierende Äußerungen gemacht werden – weil es unehrlich wäre, sie nicht auszusprechen, da sie ja eh vorhanden sind. Die richtige Schlussfolgerung wäre, diese Äußerungen zum Anlass zu nehmen, um die dahinterliegenden ausgrenzenden und diskriminierenden Weltbilder zu kritisieren. Und genau deshalb sollte man eben nicht „einfach mal die Schnauze halten“, wenn solche Äußerungen fallen. Das wurde lange genug so getan – und wo das hinführt, können wir ja nun sehen.

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