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Bundesverfassungsgericht: Grundleistungen nach dem AsylbLG sind verfassungswidrig
Nach der Anhörung am 20. Juni 2012 über die Vorlage des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen entschied das Bundesverfassungsgericht heute über die (Un-)Rechtmäßigkeit der Leistungssätze nach § 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts verstoßen die rd. 40% unter dem Existenzminimum liegenden Grundleistungen nach § 3 AsylbLG gegen die Menschenwürde (Art. 1 GG) und gegen das Sozialstaatsgebot (Art. 20 GG). Der migrationspolitischen Abschreckungsfunktion des AsylbLG hat das Gericht die sozial- und menschenrechtlichen Grenzen aufgezeigt: "Auch migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen ... niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen. Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren." Der Gesetzgeber wird aufgefordert, eine Neuregelung mit einem sachgerechten Berechnungsverfahren zur Sicherung des Existenzminimus zu schaffen. Rückwirkend zum 1.1.2011 soll eine Übergangsregelung gelten, die einem Erwachsenen statt bisher 224 Euro nunmehr monatlich 336 Euro zugesteht. Über die Problematik des diskriminierenden Gehalts der Sachleistungs-Formen wie Essenspaketen und Lagershops hat das BVerfG keine Aussagen gemacht.
- 17.07.2012 Pressemitteilung von Pro Asyl, Flüchtlingsräten und Campact: "Flüchtlinge sind keine Menschen zweiter Klasse! Die verfassungswidrige Ausgrenzung vom menschenwürdigen Existenzminimum muss endlich beendet werden!" [PDF] In dieser PM ergänzt der Flüchtlingsrat BW: "Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg fordert von der grünroten Landesregierung, dass auch mit den besonders diskriminierenden Formen der Sachleistungsgewährung wie Essenspaketen und Lagershops endlich ein Ende gemacht wird. Diese Formen beschneiden das elementare Selbstbestimmungsrecht auf selbst gewähltes Essen. Sie sind auch von einem deutlichen Wertverlust im Vergleich zu Geldleistungen oder Sachleistungen durch Wertgutscheine charakterisiert, weil die dabei operierenden Lebensmittelgroßhändler durch minderwertige Lebensmittel und vergleichsweise überhöhte Preise ihr Geschäft auf dem Rücken der Flüchtlinge machen. Immer noch wird der politische Abschreckungswille gegen Flüchtlinge in der Hälfte der Landkreise mit solchen Sachleistungsformen praktiziert. „Wir fordern, dass das Flüchtlingsaufnahmegesetz des Landes in Zukunft die Gewährung von Bargeld ermöglicht und den Landkreisen die Umstellung auf Bargeld vorgeschrieben wird, damit das diskriminierende Sachleistungssystem endlich beendet wird“, so Angelika von Loeper, 1. Vorsitzende des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg.
- 18.07.2012 Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts: Regelungen zu den Grundleistungen in Form der Geldleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz verfassungswidrig.
- 18.07.2012 Urteil des Bundesverfassungsgerichts im vollen Wortlaut
- 18.07.2012 Tagesschau.de: "Asylbewerber müssen mehr Geld bekommen"
- 18.07.2012 Tagesschau 14.00 Uhr: "Leistungen für Asylbewerber zu niedrig" (mit Beitrag über Essenskisten-Sachleistungen im Lager Holzbachtal, Enzkreis)
- 18.07.2012 Pressemitteilung Ministerium für Integration Baden-Württemberg: "Öney begrüßt Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz" Die Integrationsministerin fordert auch die Abschaffung des "anachronistischen Sachleistungsprinzips".
- 18.07.2012 Tagesthemen: "Bundesverfassungsgericht fordert Anhebung der Leistungssätze" (mit Beitrag über Flüchtlingsfamilie in Reutlingen)
- 19.07.2012 SWR: "Alt sieht Bund bei Asylbewerberleistungen in der Pflicht." Nach dem Karlsruher Urteil zu höheren Geldleistungen für Asylbewerber hat Rheinland-Pfalz den Bund aufgefordert, die Mehrkosten zu übernehmen. Er solle so seiner Verantwortung gegenüber den Asylsuchenden gerecht werden, sagte Integrationsministerin Irene Alt (Grüne) am Mittwoch.
- 21.07.2012 Mühlackerer Tagblatt: "Die Jacke zu klein, die Schuhe zu groß." [PDF] Reportage über Sachleistungen an eine Flüchtlingsfamilie.
- 30.07.2012 Pressemitteilung Ministerium für Integration BW: Land setzt Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu höheren Asylbewerberleistungen ab 1. August 2012 um. In Abstimmung mit dem Städtetag und dem Landkreistag Baden-Württemberg hat das Integrationsministerium "vorläufige Hinweise zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts" vom 18. Juli 2012 herausgegeben.
- 30.07.2012 Diakonisches Werk Baden – Stabsstelle Migration/ Flüchtlingsrat Baden-Württemberg: Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz vom 18.07.2012 – Auswirkungen auf die Praxis in Baden-Württemberg – Kurzinformation für die Initiativen und Beratungsstellen [PDF]