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Abschieben um jeden Preis

Neue Zahlen und Schicksale aus dem Musterländle für Abschiebung - Protest wird immer größer

Die grün-schwarze Landesregierung hat allein in diesem Jahr 1671 Menschen (Stand 22.6.) abgeschoben. Hauptzielländer waren die Länder des Westbalkans, in denen unter anderem die Minderheit der Roma einer massiven Diskriminierung ausgesetzt ist. Radio Dreyeckland berichtete über die Abschiebungen nach Albanien, Kosovo und nach Serbien und Mazedonien. Auch in Länder, deren Alltag von Anschlägen und kriegerischen Auseinandersetzungen geprägt ist — wie Afghanistan oder den Irak —, in Länder mit unüberschaubaren Entwicklungen – wie Gambia oder in autokratische Regime — wie China oder die Türkei — schob die Landesregierung ab.
Jede Abschiebung löst großes Leid bei Betroffenen und Unterstützer*innen aus. Stellvertretend für die 1671 Abschiebungen, wollen wir zwei Einzelfälle darstellen die uns in letzter Zeit erreicht haben und deutlich machen, dass hinter jeder dieser Zahlen ein tragisches Schicksal steht:

1) "Die Liebe meines Lebens ist weg und ich kann nichts tun." - Abschiebung des Herr A. nach Algerien
Gestern Früh war ich morgens beim Arbeiten, als ich per Whatsapp erfahren habe, dass mein
31-jähriger Freund nach acht Jahren Duldung bereits im Flieger nach Algerien sitzt.
Er wurde nachts um 04:00 Uhr durch lautes Klopfen an seine Tür in einem Stuttgarter Asylheim (das Menschen unwürdig ist, ich war schon da) aus dem Schlaf gerissen. Als er sich weigerte die Tür zu öffnen, brachen die Beamten diese auf. Er wurde abgeführt, direkt mit der Polizei nach Frankfurt gefahren und dort in einen Flieger nach Algerien gesetzt. Als ich davon erfahren habe, saß er bereits im Flieger.
Jetzt ist er weg, keine Vorwarnung, kein Brief, einfach abgeholt und mitgenommen. Er kam 2009 hier nach Stuttgart. Seit so vielen Jahren lebt dieser Mann in Ungewissheit, in Angst, am Rand der Gesellschaft, weil man, politisch gesehen, diese Menschen nicht integrieren will. Man verschlechtert die Umstände, weil man hofft, sie gehen wieder.
Ich bin geschockt und fassungslos und weiß im Moment nicht weiter. Die Liebe meines Lebens ist weg und ich kann nichts tun. Wir kennen uns schon seit er hier ist und ich verstehe nicht, dass in Deutschland Menschen die arbeiten wollen und niemanden zur Last fallen wollen, lieber klein gehalten werden und über Jahre Kosten verursachen, die sie gar nicht hätten verursachen müssen.
In diesem Asylheim in Stuttgart werden öfter Menschen abgeschoben, meist werden sie Donnerstagnacht geholt und freitags mit dem Flieger von Frankfurt aus zurück geschickt. In seinem Fall lag nicht mal ein Pass vor.
Für Politik und Wahlen werden einfach Menschenleben zerstört und Herzen auseinander gerissen.

2) "Sie wurden behandelt wie Schwerverbrecher" - Abschiebung der Familie B. nach Serbien
Wieder mal eine traurige Geschichte. Der Vater von B. mit Frau und sechs Kindern im Alter von zwei Monaten bis 14 Jahren, wurden heute morgen abgeschoben, obwohl sie die freiwillige Ausreise unterschrieben hatten. Die Familie und ich waren am Samstag noch zum Abschied dort zu Besuch. Da zeigten sie mir das orangene Papier, auf dem das Datum zur Ausreise stand. An diesem Datum sollten sie die Fahrkarten und Pässe holen kommen, um mit dem Bus nach Serbien zu fahren. Sie hatten ihre Koffer fertig gepackt, nachdem sie von uns noch Kleidung für das Baby, für die Kinder und ein wenig für sich bekamen. Der Termin gestern fand dann aber nicht statt und die Mutter hatte wohl zum fünften Mal der Dame vom LRA gesagt, dass sie bitte nicht von der Polizei geholt werden wollen, damit die Kinder den Stress nicht erleben müssen. Sie wurde getröstet, dass das nicht passiert, sie hätten ja unterschrieben.
Heute standen um 4:00 Uhr morgens plötzlich fünf Polizisten im Zimmer. Sie hatten nur fünf Minuten Zeit, um unten am Minibus zu sein (fünf Minuten bei sechs Kindern!). Die zwei kleineren Kinder weinten und hatten Angst. Die Mutter konnte gerade noch das Baby anziehen, die kleineren Kinder sind in kurzer Hose und T-Shirt, so wie sie geschlafen hatten, runter gegangen. Sie durften keinen einzigen Koffer mitnehmen, nichts zu essen, den Rucksack mit den gebrachten Babykleidern konnte die Mutter erbetteln mitnehmen zu dürfen und sie nahm die Thermoskanne mit dem warmen Wasser von der Nacht und Babynahrung mit.
Die Pampers waren im Koffer und blieben im Zimmer. Um 8:00 Uhr waren sie am Flughafen Baden-Baden, um 11:00 Uhr flogen sie ab. Sie bekamen nichts zu essen, die Kinder hatten Hunger und froren. Am Flughafen wurde die Thermoskanne mit warmem Wasser weggeworfen, sodass sie nicht mal Nahrung für das Baby machen konnte, das Hunger hatte und weinte. Sie konnte ohne Pampers die Kleine auch nicht wickeln.
Sie wurden behandelt wie Schwerverbrecher. Außerdem bekamen sie ihre Pässe nicht und – für die Mutter am schlimmsten – auch nicht die Geburtsurkunde des Babys.
Nun sind sie vorerst bei der Schwester von der Mutter untergekommen, wo schon 13 Personen beengt wohnen und nun noch diese Familie mit acht Personen dazu kommt. Sie haben ansonsten keine Bleibe. Sie haben nur die Kleidung die sie am Leib tragen. In Serbien mussten sie gleich von dem kleinen Geldbetrag, den wir ihnen für den Start gegeben hatten, Pullover für die Kinder kaufen, weil ihnen kalt war. Vom LRA erhielten sie keine Unterstützung mehr.
Genauso tragisch wie die brutale Abschiebung der kosovo-albanischen Familie hier mit ihren drei Kindern, wo der Vater sogar in Handschellen abgeführt wurde, weil er zu sagen wagte, dass sie für die Kinder Kleidung brauchen und mitnehmen möchten (es war noch richtig kalt).

Baden-Württembergische Abschiebepolitik und der Protest dagegen
Unsere Landesregierung scheint dem Ziel einer möglichst brutalen Abschiebepolitik all die christlichen oder humanistischen Werte unterzuordnen, auf die sich in Sonntagsreden so gerne berufen wird. Selbst die von den Grünen oft zitierte "sorgfältige Einzelfallprüfung" scheint kaum stattzufinden. Regelmäßig erfahren wir von Menschen, die trotz der erklärten "freiwilligen Ausreise" abgeschoben werden und auch die Abschiebeleitlinien des Innenministeriums scheinen oft keine Rolle zu spielen.
Gleichzeitig wächst der Unmut und der Protest gegen Abschiebungen: Gegen die letzte geplante Afghanistanabschiebung gab es Kundgebung in neun Städten in Baden-Württemberg; am 27. Juni setzten 400 Menschen in Freiburg ein deutliches Zeichen gegen Abschiebung und auf dem Kirchentag wurde die Resolution "gegen menschenunwürdige Abschiebepraxis" der unabhängigen Initativen Südbaden verlesen. Dies sind nur drei von vielen Beispielen im Land. Und den Erfolg des Protests, sieht man an der vorübergehenden Aussetzung der Afghanistan-Abschiebungen.

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