Flüchtlingsarbeit in Baden-Württemberg

Günter Jung mit Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet

Ehrung für jahrzehntelanges Engagement

Staatsrätin Gisela Erler hat Günter Jung aus Reutlingen das Bundesverdienstkreuz überreicht und seinen jahrzehntelangen Einsatz für soziale und gesellschaftliche Belange, insbesondere in der ehrenamtlichen Asylarbeit, gewürdigt. Günter Jung ist Mitbegründer des Reutlinger Asylcafés und langjähriges Mitglied im Flüchtlingsrat Baden-Württemberg
„Mit großem persönlichem Einsatz, mit Geschick und Empathie kümmert sich Günter Jung um die Belange der bei uns Schutz suchenden Menschen. Eine Aufgabe, die angesichts der vielen Kriege und Flüchtlinge auf der ganzen Welt heute wichtiger denn je ist“, sagte Staatsrätin Gisela Erler anlässlich der Aushändigung des Verdienstkreuzes am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland an Günter Jung. „Seit vielen Jahren und Jahrzehnten helfen Sie Menschen in Not und tragen durch Ihren persönlichen Einsatz dazu bei, dass unsere Gesellschaft humaner und solidarischer wird.“
Während seiner Berufstätigkeit als Sozialrichter begann Günter Jung in Reutlingen ehrenamtlich tätig zu sein und hatte es sowohl als Richter als auch in seinem Ehrenamt mit einem breiten Spektrum menschlicher Schicksale in sozial prekären Situationen zu tun. Ende der siebziger Jahre eröffnete er das Reutlinger Friedensbüro und war später im Bündnis gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aktiv, aus dem der Arbeitskreis Flüchtlinge hervorging. In Reutlingen-Betzingen gründete Günter Jung vor rund 25 Jahren das erste Asylcafé. Er habe sich damit schon in Zeiten, in denen die Betreuung von Flüchtlingen nicht unmittelbar im politischen Fokus stand, mit großem Engagement um Flüchtlinge gekümmert, so Erler.


Erheblicher Beitrag zum Gelingen der ehrenamtlichen Asylarbeit


„Mit Ihrer Freundlichkeit, Ihrer Kollegialität und Ihrem Humor leisten Sie einen erheblichen Beitrag zum Gelingen der ehrenamtlichen Asylarbeit in Reutlingen“, unterstrich die Staatsrätin. Es sei Jung ein wichtiges Anliegen, dass Menschen im Asylverfahren fair behandelt werden. Bis heute gibt er sein fundiertes Rechtswissen und seine Erfahrungen auf dem Gebiet der Asylarbeit durch Schulungen auch an andere Unterstützerkreise in den umliegenden Städten weiter. „Dies ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund der seit 2014 schnell gestiegenen Flüchtlingszahlen immens wichtig. Es entstand mit der zivilgesellschaftlichen Flüchtlingshilfe eine der größten Bürgerbewegungen in Deutschland. Entsprechend groß war die Nachfrage nach qualifizierter Beratung“, betonte Erler. Denn Hilfe für Flüchtlinge und ihre Integration seien nicht nur materielle Aufgaben von Staat und Kommunen, dahinter stecke ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag, der ohne Akzeptanz und Mitwirkung aus der Bevölkerung heraus nur sehr schwer erfüllt werden könne.


Vier Jahrzehnte für soziale und gesellschaftliche Belange eingesetzt


Günter Jung habe sich seit bald vier Jahrzehnten für soziale und gesellschaftliche Belange eingesetzt und sei seit über einem viertel Jahrhundert speziell für die Rechte von Flüchtlingen und Asylbewerbern in Reutlingen aktiv, erklärte  die Staatsrätin. Dafür, so Erler, sei sie Jung sehr dankbar.

 

 

Dankesrede von Günter Jung anlässlich der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes

 

Haben Sie, Frau Erler, herzlichen Dank für Ihre freundlichen Worte! Ich bin ein paar Mal rot geworden. Ich nehme die Auszeichnung stellvertretend und gerne an für all die Weggefährt*innen, die sich seit 1992 in meiner Heimatstadt Reutlingen als Ehrenamtliche und Hauptamtliche um Flüchtlinge gekümmert haben und dies immer noch tun. Allein wäre das Engagement nicht zu schaffen gewesen, auch nicht durch das affirmative „Wir schaffen das“ der Bundeskanzlerin vor 3 Jahren. Deshalb freue ich mich sehr, dass so viele Mitstreiter*innen meinem Wunsch gefolgt sind und mich hierher begleitet haben. Ihnen gebührt diese Auszeichnung in gleicher Weise wie mir.

Mir ist es ein herzliches Bedürfnis, eure Präsenz mit einem Lied zu feiern. Es ist unsere Erkennungsmelodie, die immer dann in Reutlingen erklingt, wenn wir uns treffen zum Gedankenaustausch, zum Feiern oder bei Verabschiedungen. „Nun, Freunde, lasst es mich einmal sagen, gut wieder hier zu sein, gut euch zu sehn“. Die Melodie ist leicht und alle Anwesenden sind herzlich eingeladen, die 3 Strophen mitzusingen. Unsere Asylpfarrerin, Frau Fischer, hilft beim Anstimmen!
[Es wird das Lied: „Gut wieder hier zu sein“ von Hannes Wader gesungen]

Von Sorgen und Ängsten haben wir gerade gesungen, die wir versuchen, solidarisch abzumildern. Ich habe das Gefühl, das reicht nicht. Wir leben in schwierigen Zeiten: Fassungslos sehen wir, wie in einem Überbietungswett-bewerb von Politik und Medien das Thema Flucht und Flüchtlinge skandalisiert wird und wie die Sprache verroht: „Asyltourismus, Anti-Abschiebe-Industrie etc“. „Spinnen die alle?“ fragen wir uns. Gemeint sind die in Berlin und München und manchmal auch die in Stuttgart, die in den Parlamenten und Ministerien. Die Gräben zwischen denen, die regieren, und denen, die helfen, ist groß. Bis ins Private wirkt sich das aus, in den Freundeskreisen müssen sich viele Helfer kritisieren lassen, sie spüren permanenten Rechtfertigungsdruck. „Es legt sich ein Mehltau über die Motivation. Das lähmt.“ So wurde kürzlich einer unserer Unterstützer in der Zeitung zitiert. (FR vom 14. Juli 2018)

Und deshalb empfinde ich diese Auszeichnung, die ich, nein alle Helferkreise, heute bekommen haben, so wichtig! Es ist eine aktuelle öffentliche Anerkennung unseres Engagements, das vor lauter Gesetzesverschärfungen, Abschiebungen, Abschottungsmaßnahmen aus dem Blick geraten ist. Jene Millionen kommen nicht mehr vor, die 2015 als Ehrenamtliche das Asylsystem vor seinem Zusammenbruch bewahrt haben und seither die Integration voranbringen und jetzt mit ansehen müssen, wie aus einem Land der Willkommenskultur ein „gnadenloses“ Land geworden ist, das hemmungslos in unsichere Länder abschiebt, die Festung Europa weiter ausbaut, Flüchtlinge massenhaft ertrinken lässt.

Keine Sorge! Liebe Frau Erler! Angesichts dieser staatlichen und europäischen Zumutungen gebe ich den mir gerade angehefteten Orden nicht zurück, im Gegenteil: Ich trage ihn stolz vor mir her und mit Freude, wenn ich an die vielen Mitstreiter*innen in den Reutlinger Asylcafés denke. Und ich verbinde die Auszeichnung mit einer dringenden Bitte an Ihre Landesregierung:

Bekanntlich hat das Land Baden-Württemberg dem Flüchtlingsrat in diesem Jahr Mittel in Höhe von 50 000,- EUR gekürzt. Das hat dazu geführt, dass die Stellen von zwei Mitarbeiter*innen - sie waren im vom Land geförderten Projekt "Aktiv für Flüchtlinge" beschäftigt worden – dass diese Stellen nicht neu besetzt werden konnten. Das hat wiederum dazu geführt, dass der Flüchtlingsrat von BW, also unser Flüchtlingsrat, sein Angebot reduzieren und z.B. die Telefonberatung am Freitag ganz einstellen musste. Und weitere Mittelkürzungen sind für das kommende Jahr angekündigt. Damit drohen weitere Einschränkungen.

Das ist doch „lähmender Mehltau“ auf unsere Motivation! Wir Ehrenamtlichen sind dringend auf die Angebote des Flüchtlingsrates angewiesen. Bitte setzen Sie sich dafür ein, dass die Mittelkürzungen gestoppt werden.

Und es ist doch wahr: Das Verhalten des Landes wirft ein schiefes Licht auf die Wertschätzung unseres ehrenamtlichen Engagements. Man kann doch - auf der einen Seite - nicht unsere Arbeit auszeichnen und auf der anderen Seite Mittel für diese Arbeit kürzen.

Ich komme zum Schluss: Wir leben in „harten, bittren, schrecklichen Zeiten“, wenn ich an die Situation der weltweiten Fluchtbewegungen denke, an die vielen Toten im Mittelmeer, die Behinderung bei der Seenotrettung, an die schäbigen Einschränkungen beim Familiennachzug, an die skandalösen Abschiebungen in unsichere Länder und aktuell an die Sammellagerpolitik, die auch von unserem Bundesland vorangetrieben wird.

Angesichts all dieser Zumutungen bedarf es der Ermutigung. Lasst uns dazu anstimmen Biermanns Lied aus dem Jahr 1968!
[Es wird das Lied „Ermutigung“ von Wolf Biermann gesungen]

Nochmals vielen Dank für die Auszeichnung! Vielen Dank an alle, die zum Gelingen dieser Feierstunde beigetragen haben. Danke für Ihre und Eure Aufmerksamkeit und natürlich fürs Mitsingen. Danke und Grüße an den Herrn Ministerpräsidenten und nach Berlin, an den Herrn Bundespräsidenten.

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